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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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der Ecke knisterte ein Feuer in einem Kamin, der altenglischen Vorbildern nachempfunden
     war. Die dunkelroten, schweren Vorhänge waren fest zugezogen. Vor einem niedrigen Couchtisch aus Ebenholz saß in einem weißen
     Ledersessel ein schwammiger, rundlicher und völlig kahlköpfiger Mann von etwa sechzig Jahren, der ein gutmütiges stupsnasiges
     Gesicht hatte.
    »Guten Tag, Jelena Nikolajewna«, sagte er, »darf ich bitten, nehmen Sie Platz.«
    »Guten Tag«, erwiderte Lena automatisch, machte einigeSchritte und setzte sich in einen Sessel dem Glatzkopf gegenüber.
    Die beiden Aufpasser blieben hinter Lena an der Tür stehen.
    »Kaffee? Tee? Oder lieber etwas Stärkeres?« fragte der Glatzkopf mit höflichem Lächeln.
    »Kaffee, wenn es geht.«
    Die Augen des Glatzköpfigen waren hellbraun, fast gelb, klein und wimpernlos.
    »Los, Wadik, organisier uns einen Kaffee«, wies er einen der Gorillas an. »Haben Sie keine Angst, Jelena Nikolajewna«, wandte
     er sich freundlich, fast väterlich an Lena. »Ich stelle Ihnen einige Fragen, wir trinken gemeinsam Kaffee und trennen uns
     dann als Freunde. Unter einer Bedingung natürlich. Sie müssen meine Fragen absolut ehrlich beantworten, wie in der Beichte.
     Sind Sie bereit?«
    »Ja.«
    »Frage Nummer eins. Wer ist Michael Barron?«
    »Michael Barron ist Bürger der Vereinigten Staaten, Professor und Historiker«, sagte Lena ruhig und dachte: Das also steckt
     dahinter! Sie haben Michael tatsächlich für jemand anderen gehalten. Die Gradskaja hat nichts damit zu tun. Wo Michael jetzt
     wohl ist? Hoffentlich hat Sascha ihn zurück nach Moskau geschickt.
    »Jelena Nikolajewna, wir haben vereinbart, daß Sie ehrlich antworten.« Der Glatzkopf runzelte leicht die Stirn.
    »Ich habe keinen Grund, Sie zu belügen. Mister Barron ist wirklich Geschichtsprofessor, und um das herauszufinden, hätte man
     weder unsere Hotelzimmer durchsuchen noch mich entführen müssen. Das ist genauso offenkundig wie die Tatsache, daß in der
     Dose Talkumpuder war und kein Rauschgift.«
    Der Glatzkopf lachte laut und etwas kurzatmig.
    »Na gut. Fahren wir fort. Wozu sind Sie zusammen mit diesem, wie Sie sagen, Historiker hergekommen?«
    »Mister Barron beschäftigt sich mit der Geschichte Sibiriens. Mich hat er als Dolmetscherin engagiert.«
    »Und wer ist der junge Mann, der Sie in seinem Moskwitsch umherkarrt?« Die Augen des Glatzkopfs wurden ganz gelb, die Pupillen
     verengten sich zu kleinen Punkten.
    »Wir brauchten einen Chauffeur. Wir haben den ersten besten engagiert, er hat nur sehr wenig verlangt.«
    Der Gorilla namens Wadik trat geräuschlos an den Tisch, mit einem Tablett, auf dem zwei kleine Tassen und eine Zuckerdose
     standen.
    »Trinken Sie Kaffee, Jelena Nikolajewna, und denken Sie noch mal nach«, schlug der Glatzkopf friedfertig vor.
    »Darf ich rauchen?« fragte Lena.
    »Ja, natürlich.«
    Auf dem Tisch erschienen Zigaretten, Feuerzeug und Aschenbecher. Lena nahm gierig einen Schluck von dem heißen, starken Kaffee
     und zog eine Zigarette aus der Schachtel. Der Glatzkopf gab ihr zuvorkommend Feuer.
    »Worüber haben Sie denn so lange mit den beiden Omas auf der Malaja Proletarskaja gesprochen?«
    »Ich habe die Mutter eines alten Bekannten besucht. Das ist eine Geschichte aus grauer Vorzeit.«
    »Ich bin gespannt, sie zu hören.«
    Lena erzählte ihm die Geschichte von Wassili Slepaks Gedichten. Locke lauschte und dachte, diesmal spricht sie die Wahrheit.
     Nicht die ganze natürlich, aber die Wahrheit. Er wußte, daß der Killer tatsächlich einmal Gedichte geschrieben hatte. Damals
     hatte man das als komische Schrulle betrachtet.
    »Er tat mir so leid.«
    Als erster lachte der Glatzkopf, dröhnend und kurzatmig. Dann lachten die beiden jungen Gorillas, die an der Tür standen.
    »Er tat dir leid?« Der Glatzkopf rieb sich mit den Fingerspitzen die Tränen aus den Augen. »Mit dir selber hättest du Mitleid
     haben sollen!«
    Unvermittelt war er zum »Du« übergegangen. Sein Gesicht wurde starr. Die gelben, nackten Augen fixierten Lena so durchdringend,
     daß sie unwillkürlich zusammenzuckte.
    »Hast du Sehnsucht nach deiner Kleinen?« fragte er einschmeichelnd.
    Lena schwieg. Sie spürte, wie sich in ihrem Inneren alles zusammenzog und kalt wurde, und konnte nichts dagegen tun. Ihre
     Hand, die die Kaffeetasse hielt, zitterte merklich. Lena stellte die Tasse auf den Tisch und ballte ihre Hand zur Faust.
    »Ja, du hast Sehnsucht«, antwortete der Glatzkopf an ihrer

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