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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ihr zum fünften Mal das erste Kapitel von »Winnie Puh« vor. Kaum war das Kapitel
     zu Ende, verlangte Lisa, er solle wieder von vorne anfangen. Schlafen wollte sie noch lange nicht, obwohl es schon elf Uhr
     war.
    »Papa sch-sch-sch!« sagte sie und seufzte traurig.
    Niemand hatte ihr gesagt, daß der Papa wegfahren würde, sie war von selbst daraufgekommen.
    »Ich bin bald wieder da«, beruhigte Sergej sie. »Was soll ich dir denn mitbringen, Lisa?«
    »Puh! Lisa will Puh!«
    »Winnie Puh? Einen Plüschbär?«
    »Ja.« Lisa nickte mit ernstem Gesicht.
    »Einen großen oder einen kleinen?«
    »Großen«, erklärte Lisa mit Baßstimme und breitete die Arme aus, um die Größe des Bären zu zeigen. »Kleinen auch«, fügte sie
     nach kurzem Nachdenken mit hohem Piepsstimmchen hinzu.
    »Gehst du denn heute auch noch schlafen?« fragte Sergej vorsichtig.
    »Papa sch-sch-sch!« Lisa zog die Unterlippe herunter, bis sie wie ein kleines, nach unten gebogenes Hufeisen aussah. Das bedeutete,
     daß gleich ein ohrenbetäubendes Gebrüll anheben würde. Es gab nur ein Gegenmittel – das Kind auf die Arme nehmen und im Zimmer
     umhertragen. Als Sergej gerade mit Lisa auf dem Arm ans Fenster trat und ihr zeigte, wie schön die Lichter in der Dunkelheit
     leuchteten, guckte Lena ins Zimmer.
    »Aha, so also gehen wir schlafen«, sagte sie kopfschüttelnd.
    »Wir gehen überhaupt nicht schlafen«, erklärte Sergej resigniert. »Wir haben viel zu schlappe Eltern, ohne jede Konsequenz.«
    »Gut, dann laß uns mal nachsehen, wie Papas Tasche gepackt ist«, seufzte Lena. »Womöglich hat die schlappe Mama vergessen,
     dem schlappen Papa etwas Wichtiges hineinzutun?«
    Sie inspizierten die Tasche und tranken ein wenig Tee, aber Lisa wollte immer noch nicht ins Bett – wie soll man auch einschlafen,
     wenn der Papa mit dem Flugzeug wegfliegt?
    »Sag mal«, fragte Lena nachdenklich, »wenn jemand ein Rechtshänder ist, würde er sich dann eine Droge in die rechte Hand spritzen?«
    »Wenn er in beiden Armbeugen keine heile Stelle mehr hat, wenn alle Venen am Handgelenk und an der linken Hand zerstochen
     sind, dann könnte er es vielleicht probieren. Warum fragst du?«
    »An der linken Hand sind gar keine Spuren, nur an der rechten. Die Armbeugen habe ich nicht gesehen, aber ich glaube nicht,
     daß es dort keine heile Stelle mehr gibt.«
    »Redest du wieder von diesem Mitja?« fragte Sergej seufzend.
    »Ja, Serjosha. Ich muß die ganze Zeit an ihn denken. Ich habe die Kratzer auf seiner rechten Hand gesehen, unddiese Punkte, die Nadeleinstiche, aber dann hat seine Frau gesagt, er hätte niemals gespritzt, er hätte Drogen gehaßt. Jetzt
     ist es zu spät. Mitja ist eingeäschert worden. Aber es gibt Obduktionsergebnisse. Olga hat es irgendwie geschafft, daß er
     außer der Reihe obduziert worden ist. Vermutlich hat sie die Leute bestochen.«
    »Na und?«
    »Dasselbe Ergebnis. Eine hohe Konzentration im Blut. Wovon, weiß ich nicht mehr, aber es war irgendein starkes Narkotikum.
     Die Ampullen mit den Spritzen lagen im ganzen Zimmer herum.«
    »Du weißt, wie viele unaufgeklärte Morde es heutzutage in Moskau gibt?« Sergej legte sich Lisa etwas bequemer auf den Schoß;
     die Kleine schlief langsam ein.
    »Ja, so ungefähr.«
    »Das haben wir doch alles schon erörtert, es lohnt nicht, noch mal von vorne anzufangen, und außerdem muß ich in vierzig Minuten
     los.«
    »Du hast recht«, stimmte Lena zu. »Aber trotzdem, diese Kratzer auf seiner rechten Hand lassen mir keine Ruhe.«
    Sergej trug Lisa ins Bett. Er kehrte in die Küche zurück, umarmte Lena, küßte sie auf die Schläfe und flüsterte:
    »Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, verehrte Miss Marple.«
    ***
    Mischa Sitschkin, der Leiter der Einsatzgruppe, hatte sich entschlossen, das Model Veronika Rogowez, die Hauptzeugin im Mordfall
     des Sängers Juri Asarow, zum Verhör aufs Revier in die Petrowka zu bestellen.
    Die ersten beiden Verhöre waren bei Veronika zu Hause geführt worden, wo sie die ganze Zeit im Negligé umherspaziert war –
     einem durchsichtigen Spitzenüberwurf von feuerroter Farbe, unter dem sie nichts trug, nicht einmal einen Slip. Auf Mischas
     Frage: »Wie haben Sie den Abendvor dem Mord verbracht?« schlug sie nachlässig die Beine übereinander, zuckte elegant mit den Schultern und erwiderte:
    »Sie möchten wissen, was wir gemacht haben? Liebe haben wir gemacht! Ich kann gerne Einzelheiten schildern, wenn das der Untersuchung
     nützt.«
    Dabei

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