Die leichten Schritte des Wahnsinns
unangenehmeÜberraschungen barg. Für den Affen wurde noch ein Satz Geschirr, ein kleines Klappbett und ein Stühlchen gekauft.
Das Aussuchen und Einkaufen hatte Lisa ermüdet, aber sie war so begeistert von ihrem neuen Äffchen, daß sie gehorsam ihre
Füße zur Schuhanprobe hinhielt, nicht weinte und nicht nörgelte, während die Mama für sie Strumpfhosen, Hemdchen, Schlafanzüge
und noch allerlei Kleinigkeiten kaufte.
Endlich setzte Lena ihre Tochter in den Kinderwagen und machte sich, erschöpft und um einen beträchtlichen Batzen Geld ärmer,
auf den Heimweg. Unterwegs kamen sie über einen großen Durchgangshof mit einem Kinderspielplatz.
»Mama, ich möchte ein bißchen schaukeln«, bettelte Lisa, »nur ein ganz klein bißchen.«
Lena stellte den Kinderwagen neben eine der feuchten Bänke, hob Lisa heraus und trug sie auf dem Arm über die Pfützen zur
Schaukel.
***
Eine gesunde junge Frau mit einem kleinen Kind, die ein ruhiges und glückliches Leben führt, weder trinkt noch Drogen nimmt,
erhängt sich nicht plötzlich im Drogenrausch, sie spritzt sich auch keine tödliche Dosis Morphium und läßt dann eine brennende
Zigarette auf die Bettdecke fallen. Wenn die Poljanskaja wenigstens Kontakt zum kriminellen Milieu hätte, wie der Sänger Asarow,
dann ließe sich schon eine passende Situation konstruieren und eine glaubwürdige Geschichte für die Holzköpfe von der Mafia
erfinden, und die hätten dann zuverlässig den Rest erledigt.
Die Versuchung, einen professionellen Killer zu engagieren, war groß. Aber der Weg zum Profi-Killer führt über einen Mittelsmann.
Jeder anständige Killer hat seinen Zuhälter, wie eine Prostituierte. Das heißt, von einem Auftragwissen immer zwei – der Mittelsmann und der Ausführende.
Zwar klärt die Miliz Auftragsmorde höchst selten auf, daraus folgt jedoch nicht, daß sie auch im kriminellen Milieu ein Geheimnis
bleiben. In diesem Fall aber durfte absolut niemand Wind von der Sache bekommen. Die kleinste undichte Stelle konnte zu einer
Bombe für den Konzern »Wenjamin« werden.
Einen Mann gab es, an den Regina sich direkt, ohne Hilfe eines Mittelsmannes, wenden konnte, aber sie kannte sein eisernes
Prinzip: Er tötete keine Frauen, die kleine Kinder hatten.
Also mußte sie auch hier wieder alles selber tun, heimlich, vorsichtig und professionell. Nach langem Überlegen blieben zwei
Varianten übrig, die ihr zuverlässig erschienen.
Einen kleinen Sprengsatz, etwa fünfzig Gramm TNT, könnte man unbemerkt in eine Manteltasche, Handtasche oder Einkaufstüte
schieben. Die Explosion wäre nicht sehr heftig und müßte an einem wenig belebten Ort stattfinden. Niemand außer der Poljanskaja
käme zu Schaden, also würde der Vorfall auch nicht als Terroranschlag eingestuft werden. Im schlimmsten Falle könnte auch
ihr Kind davon betroffen sein. Aber das waren schon Details.
Die zweite Variante war Gift. In der Wohnung der Poljanskaja hatte sich Regina aufmerksam das Türschloß angesehen. Mit einem
guten Dietrich konnte man in die Wohnung eindringen, wenn niemand zu Hause war. Man mußte sich nur noch überlegen, wohin mit
dem Gift – in die Zuckerdose, in das Teekännchen oder in die Suppenterrine? Aber auch das waren nur Details.
Die erste Variante erschien Regina als die zuverlässigere und weniger riskante. Sie beschloß, mit ihr zu beginnen – dann würde
man weiter sehen.
Am folgenden Tag saß Regina bereits um neun Uhr morgens in einem unauffälligen grünen Moskwitsch mitschmutzverschmiertem Nummernschild und starrte unverwandt auf den Hauseingang, in dem jede Minute die Poljanskaja erscheinen
konnte.
Es war kurz nach elf, als Lena mit dem Kinderwagen aus dem Haus kam.
Regina kannte sich in diesem alten Moskauer Bezirk bestens aus. Aber sie wußte nicht, welchen Weg Lena nehmen würde. Einem
Fußgänger mit dem Auto zu folgen, ohne daß dieser oder sonst jemand es merkt, ist praktisch unmöglich.
Die Poljanskaja schritt zügig aus, demnach war es nicht einfach ein Spaziergang mit dem Kind.
Wohin so eilig, Herzchen? dachte Regina. Lebensmittel einkaufen? Aber es gibt ein paar sehr gute Supermärkte ganz in der Nähe,
an einem bist du mit deinem Kinderwagen schon vorbeigefahren, der zweite liegt in entgegengesetzter Richtung, und der dritte
… Nein, du willst nicht zum Supermarkt. Und du willst auch nicht in die Poliklinik.
Regina hielt am Anfang einer langen Seitenstraße, wartete, bis Lena die
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