Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
jedoch seine von Natur gute Laune. Passagiere, die für eine Fahrt von sechzig Stunden hundertfünfzig Taëls (= 960 Mark) wegwarfen – das war ein Geschäft; vorzüglich, wenn ihre Ansprüche auf Comfort und Nahrung die der stillen Gäste im Raume des Schiffes nicht zu sehr übertrafen.
    Kin-Fo, Craig und Fry hatten wohl oder übel in dem Wohnhäuschen auf dem Hintertheile Platz gefunden; Soun hauste im sogenannten Volkslogis des Vorderdecks.
    Die beiden allezeit mißtrauischen Agenten musterten zuerst aufmerksam die Leute des Kapitäns, unter denen sie nichts fanden, was ihren Verdacht gerechtfertigt hätte. Eine heimliche Uebereinstimmung mit Lao-Shen vorauszusetzen, war doch zu unwahrscheinlich, da sich ihr Client dieser Dschonke ja nur aus Zufall bei seiner Reise bediente, und wie sollte diese Zufälligkeit gerade mit den etwaigen Absichten des alten Taï-Ping zusammenfallen? Von den Gefahren, die das Meer selbst bieten konnte, abgesehen, durften sie also erwarten, einige Tage von ihrer gewöhnlichen Besorgniß befreit zu bleiben, weshalb sie Kin-Fo auch mehr sich selbst überließen.
    Letzterer schien darüber nicht eben böse zu sein. Er schloß sich in seiner Cabine ein und hing nach Belieben seinen Träumereien nach. Der arme Mann, der das Glück noch nicht kennen, den Werth des Lebens in seinem Yamen zu Shang-Haï noch nicht schätzen gelernt hatte, da ihm die Sorge fremd blieb und er die Arbeit verachtete! Kam er wieder in den Besitz seines Briefes, dann mußte es sich ja zeigen, ob er von der ihm zu Theil gewordenen Lehre Nutzen gezogen, ob aus dem Thoren ein Weiser geworden war!
    Doch würde er diesen Brief denn jemals wieder erhalten? Ohne Zweifel, er war ja bereit, den Werth, den jener in der Hand eines Andern haben konnte, voll zu ersetzen. Für Lao-Shen konnte die ganze Angelegenheit nur eine Geldfrage sein. Jedenfalls aber mußte er diesen überraschen und sich nicht von demselben zuvorkommen lassen. Das war aber nicht so leicht. Lao-Shen unterrichtete sich höchst wahrscheinlich über Alles, was mit Kin-Fo vorging; Kin-Fo wußte dagegen nicht, was jener vornahm. Natürlich lag unter diesem verschiedenen Verhältnisse eine große Gefahr verborgen, sowie Craig-Fry’s Client den Boden der Provinz betrat, in der der Tat-Ping sein Wesen trieb. Alles drehte sich also um die Möglichkeit, dem bestellten Mörder zuvorzukommen. Es war wohl vorauszusetzen, daß Lao-Shen seine fünfzigtausend Dollars lieber von dem lebenden, als von dem todten Kin-Fo annahm. Im ersteren Falle ersparte er ja eine Reise nach Shang-Haï und einen Besuch in den Bureaux der »Hundertjährigen«, der für ihn, trotz der bisherigen Langmuth der Regierung, doch nicht ganz gefahrlos sein konnte.
    Mit solchen Gedanken trug sich der jetzt ganz umgewandelte Kin-Fo, und man wird nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß auch die liebenswürdige junge Witwe in Peking in seinen Zukunftsplänen nicht die mindest bedeutende Rolle spielte.
    Was dachte aber Soun in dieser Zeit?
    Soun dachte an gar nichts. Er lag der Länge lang im Volkslogis auf der Erde und zahlte den menschenfeindlichen Gottheiten des Golfes von Pe-Tche-Li den schuldigen Tribut. Kam er ja dazu, einen Gedanken zu fassen, so schimpfte er heimlich auf seinen Herrn, den Philosophen Wang und den Banditen Lao-Shen. Sonst war er abgestumpft in Gefühlen und Gedanken. Er dachte weder an Reis, noch an den geliebten Thee. Welch’ unseliger Wind hatte ihn verschlagen! Welche tausend und zehntausendfache Dummheit beging er seinerseits, bei einem Herrn in Dienst zu treten, dem es einfallen konnte, auf die See zu gehen! Wie gern hätte er sogar den Rest seines Zopfes dahingegeben, wenn er jetzt nicht mit hier zu sein brauchte. Er hätte sich den ganzen Schädel rasirt und wäre lieber Bonze geworden. Ihm war immer, als zerfleischte ein gelber Hund ihm die Leber und die Eingeweide! Ai, ai ya!
    Getrieben von günstigem Südwinde, glitt die »Sam-Yep« indessen in der Entfernung von drei bis vier Meilen längs den Küsten hin, die hier von Osten nach Westen verliefen. Sie kam bei Peh-Tang, an der Mündung des gleichnamigen, Flusses vorüber, unfern der Stelle, wo die europäischen Heerhaufen an’s Land stiegen, dann bei Shan-Tung, bei Tschian-Ho, am Ausflusse des Tau, und bei Hai-Ve-Tse vorbei.
    Nun ward es auf dem Wasser des Golfes allmählich stiller. Der an der Mündung des Peï-Ho sich zusammendrängende Schiffsverkehr nahm in demselben Verhältnisse ab wie die Entfernung von jenem

Weitere Kostenlose Bücher