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Die Leiden eines Chinesen in China

Die Leiden eines Chinesen in China

Titel: Die Leiden eines Chinesen in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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konnte.
    »Sehr schön, sagte Kin-Fo mit einem gewissen Galgenhumor, nach dem Sturm, der uns auf die hohe See verschlägt, eine Windstille, die uns hindert, an’s Land zu kommen!«
    Er wendete sich an den Kapitän.
    »Wie lange kann diese Stille andauern? fragte er.
    – Aber, bester Herr, wer könnte das in der jetzigen Jahreszeit voraussagen! erwiderte der Kapitän.
    – Stunden-oder tagelang?
    – Tage-oder wochenlang! verbesserte Yin mit resignirtem Lächeln, das seine Passagiere fast außer sich brachte.
    – Wochenlang! fuhr Kin-Fo auf. Glauben Sie denn, ich habe Zeit, hier wochenlang zu warten?
    – Es wird nichts Anderes übrig bleiben, wenn wir die Dschonke nicht schleppen lassen.
    – Zum Kukuk mit ihrer Dschonke, mit allen Denen, die sie trägt, und zuerst mit mir, der die alberne Idee hatte, auf dieselbe an Bord zu gehen.
    – Darf ich Ihnen zwei Rathschläge ertheilen, mein Herr? sagte Kapitän Yin.
    – Wie es Ihnen beliebt!.
    – Der erste ist der, daß Sie sich niederlegen und schlafen, wie ich es eben thun werde, das dürfte nach einer auf Deck durchwachten Nacht das Gescheidteste sein.
    – Und Ihr zweiter Rath? fragte Kin-Fo, den die Ruhe des Kapitäns fast noch mehr außer Fassung brachte, als die des Meeres.
    – Der zweite, erwiderte Yin, ist der, es zu machen wie meine Passagiere im Raume unten: sie beklagen sich nicht und nehmen die Zeiten, wie sie kommen!«
    Nach dieser philosophischen Bemerkung, welche wirklich eines Wang würdig gewesen wäre, begab sich der Kapitän nach seiner Cabine und ließ nur zwei bis drei Mann von der Besatzung auf dem Deck zurück.
    Eine Viertelstunde lang ging Kin-Fo mit gekreuzten Armen und mit den Fingern vor Ungeduld Triller schlagend auf dem Schiffe hin und her. Dann warf er noch einen letzten Blick auf die traurige Einöde, deren Mittelpunkt die Dschonke einnahm, zuckte die Achseln und schritt auf das Wohnhäuschen zu, selbst ohne ein Wort an Craig-Fry zu richten.
    Die beiden Agenten lehnten auf dem Barkholz und unterhielten sich wie gewöhnlich mit einander, ohne ein Wort dabei zu sprechen. Sie hatten Kin-Fo’s Fragen, ebenso wie die Antworten des Kapitäns gehört, vermieden es aber, sich einzumischen. Was hätte es ihnen auch nützen können, und weshalb sollten sie in die Klagen über diese Verzögerung einstimmen, die ihrem Clienten die Laune so gründlich zu verderben schien?
    Was sie an Zeit verloren, gewannen sie ja offenbar an Sicherheit. Da Kin-Fo an Bord keiner Gefahr ausgesetzt war und die Hand Lao-Shen’s ihn hier unmöglich treffen konnte, was hätten sie mehr wünschen können?
    Uebrigens nahte der Zeitpunkt, mit dem ihre Verantwortlichkeit zu Ende ging, mehr und mehr heran. Noch fünfzig Stunden – und wenn sich dann die ganze Armee des Tat-Ping auf den Ex-Clienten der »Hundertjährigen« gestürzt hätte – sie hätten kein Haar daran gewagt, ihn zu vertheidigen. O, diese Amerikaner sind praktische Leute! Alles für Kin-Fo, so lange er ihnen zweimalhunderttausend Dollars galt! Nichts – sobald er für sie kaum noch eine Sapeke werth war.
    Mit einem solchen Gedankengang im Kopfe, nahmen Craig und Fry mit gutem Appetit ein kräftiges, Frühstück ein. Ihr vorräthiger Proviant ließ nichts zu wünschen übrig. Sie aßen von derselben Schüssel, von demselben Teller, verzehrten dieselben Bissen Brot und Stücke kalten Fleisches. Sie tranken gleichmäßig viel Gläser eines vortrefflichen Weines von Chao-Chigne auf die Gesundheit des ehrenwerthen William J. Bidulph, sie rauchten Jeder ein halbes Dutzend Cigarren und lieferten noch einmal den Beweis, daß man, ohne als solches geboren zu sein, doch nach Sitte und Gewohnheiten ein siamesisches Zwillingspaar darstellen kann.
    Brave Yankees, die nun bald am Ende ihrer Leiden zu sein glaubten!
    Der Tag verlief ohne Unfall, ohne Zwischenfall. Immer dieselbe Ruhe der Atmosphäre, derselbe friedliche Anblick des Himmels. Nichts deutete auf eine bevorstehende Aenderung der Witterung hin. Die Gewässer des Meeres schlummerten stille wie die eines Landsees.
    Gegen vier Uhr erschien Soun wieder auf dem Verdeck, aber wankend und schwankend wie ein Trunkener, obwohl er in seinem Leben noch nie so mäßig gelebt hatte wie in den letzten Tagen.
    Nachdem er zuerst ein violettes Aussehen, dann ein blaues und zuletzt ein grünes angenommen, änderte sich seine Farbe wieder nach und nach in gelb um. Wenn sie dann nach der Rückkehr an’s Land orangenfarbig wurde und aus dieser gewöhnlichen Farbe, wenn etwas

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