Die Leiden eines Chinesen in China
seinen Zorn erregte, in’s Rothe überging, so hatte sie allmählich und in richtiger Ordnung die ganze Farbenscala des Sonnenspectrums durchlaufen.
Mit halb geschlossenen Augen und ohne einen Blick über die Schanzkleidung der »Sam-Yep« zu werfen, schleppte sich Soun mühsam zu den beiden Agenten hin.
»Sind wir noch nicht am Ziele? fragte er.
– Nein, antwortete Fry.
– Kommen wir bald an?
– Nein! erklärte ihm Craig.
– Ai, ai, ya!« seufzte Soun.
Voller Verzweiflung und außer Stande, noch länger zu sprechen, streckte er sich, von würgenden Krämpfen geschüttelt, am Fuße des Großmastes nieder, wobei sein kleiner Zopf wie ein kurzer Hundeschweif wedelte.
Zum Zweck der Lüftung des Raumes hatte Kapitän Yin die Deckluken öffnen lassen. Während des Typhon brandeten einzelne Wellen nämlich bis auf das Deck und drangen theilweise in den Schiffsraum ein. Die dadurch entstandene Feuchtigkeit sollte die warme Sonne nun daraus entfernen.
Während sie planlos auf dem Deck hin und her wandelten, waren Craig und Fry wieder an der großen Luke stehen geblieben. Mehr und mehr erwachte in ihnen die Neugier, dieses provisorische Grabgewölbe einmal in Augenschein zu nehmen. Sie kletterten also an den stufenförmig eingeschnittenen Deckstützen hinunter.
Unter der großen Luke erleuchtete die Sonne einen großen viereckigen Fleck mit ihren vollen Strahlen; nach beiden Seiten von demselben lag der Raum in tiefe Dunkelheit gehüllt. Craig’s und Fry’s Augen gewöhnten sich jedoch bald an diese Finsterniß, so daß sie erkennen konnten, wie man die eigenthümliche Ladung der »Sam-Yep« verstaut hatte.
Den Schiffsraum trennten hier keine Scheidewände, wie es sonst auf Handelsfahrzeugen der Fall zu sein pflegt, in Längsabtheilungen. Er bildete von einem Ende zum anderen einen freien Behälter für die Last, da die Wohnungen auf dem Verdeck für die Besatzung vollständig hinreichten.
An beiden Seiten dieses Raumes, der übrigens an Sauberkeit mit dem Vorzimmer eines Cenotaphiums wetteiferte, standen die nach Fu-Ning bestimmten fünfundsiebzig Särge reihenweise übereinander. Sorgsam mit Tauen befestigt, konnten sie weder beim Rollen noch beim Stampfen der Dschonke ihre Stelle verändern und gefährdeten die Sicherheit derselben in keiner Weise.
Zwischen den beiden Reihen war ein Weg freigelassen, so daß man von einem Ende des Raumes bis zum anderen gelangen konnte; an zwei, den Luken entsprechenden Stellen fand das Licht jetzt in jenen Eingang, während die übrigen Theile im Helldunkel begraben lagen.
Der Kapitän lachte nicht mehr. (S. 162.)
Craig und Fry gingen schweigend, als befänden sie sich in einem Mausoleum, längs dieses Weges hin.
Sie betrachteten die ungewöhnliche Ladung mit lebhaftem Interesse. Hier standen Särge jeder Form und Größe, die einen reich geschmückt, die anderen ärmlich ausgestattet.
»Wie lange kann diese Stille andauern?« (S. 165.)
Von den Auswanderern, welche die Noth des Lebens nach jenseits des Pacifischen Oceans verschlagen hatte, erwarben sich wohl einzelne, doch leider nur wenige, in den Bergwerken von Nevada oder Colorado ein bescheidenes Vermögen. Die Meisten kamen arm dorthin und kehrten jetzt ebenso zurück. Jetzt kamen sie, im Tode gleich, wieder nach dem Strande der Heimat. Die Ladung des Schiffes bestand etwa aus zehn Särgen von kostbarem Holze, die mit aller Phantasie des chinesischen Luxus verziert waren, die übrigen hatte man aus vier grob gearbeiteten und nothdürftig gelb angestrichenen Planken gezimmert. Ob reich oder arm, trug doch jeder eine Aufschrift mit dem Namen der Verstorbenen, welche Craig und Fry da und dort erkennen konnten. Da las man deutlich: Lien-Fu aus Young-Ping-Fu, Nan-Lou aus Fu-Ning, Shen-Kin aus Lin-Kin, Luang aus Ku Li-Koa u.s.w. Eine Verwechslung schien gar nicht möglich. Jeder Leichnam sollte, mit genauer Adresse versehen, weiter befördert werden, um in den Obstgärten, mitten im Felde oder in öder Ebene die Zeit seiner definitiven Beerdigung abzuwarten.
»Gut gepackt! sagte Fry.
–Und gut erhalten!« setzte Craig hinzu.
Sie sprachen ganz so, als befänden sie sich in den Magazinen eines Kaufmannes oder in den Lagerräumen eines Spediteurs von New-York oder San-Francisco.
Als Craig und Fry nahe dem Vordertheile des Schiffes an das dunkelste Ende des Raumes gekommen waren, blieben sie stehen und ließen die Blicke durch den Zwischengang schweifen, der unwillkürlich an den Seitenweg eines
Weitere Kostenlose Bücher