Die Leidenschaft der Wölfe (German Edition)
Beispiel», erklärte Iwan. «Und es ist keine Entschuldigung, dass Sie ständig so lange aus sind. Manchmal kommen Sie ja überhaupt nicht nach Hause.»
Semjon zog es vor, diese Spitze zu ignorieren. «Und muss er eigentlich immer darauf bestehen, am Ende auch noch eine langatmige Zusammenfassung zu verlesen?»
«Es ist überaus unhöflich von Ihnen, dabei grundsätzlich so auffallend zu gähnen», sagte Iwan bissig.
«Dann werde ich mich direkt bei ihm entschuldigen.»
Semjon wusste, dass der Hausvorsteher angewiesen war, ihn im Zaum zu halten, während seine Brüder sich anderenorts aufhielten. Außerdem war es durchaus möglich, dass der ältere Herr eine gewisse Eifersucht hegte, weil Semjon sich so gut mit seiner jungen Frau Natalja verstand. Ein gewisser Takt wäre also sicher angebracht, entschied er.
«Und was sein Meisterwerk angeht, Iwan», fuhr er fort, «ich bin sicher, es ist exzellent geschrieben, und Antoschas Erwerb eines Jahresvorrats Papier und Tinte beschert den Herstellern sicher beträchtliche Gewinne. Alles in allem, ein lobenswertes Unterfangen.»
Iwan rümpfte nur die Nase.
«Aber ich bin nicht sicher, ob die Geschichte des Rudels von St. James an die Öffentlichkeit gehört.»
Der Hausvorsteher hob die Augenbrauen. «Antoscha hat mir versichert, dass Ihre nächtlichen Vergnügungen darin nicht vorkommen werden.»
«Wie belieben?»
«Semjon, Sie haben den schlimmsten Ruf unter den Taruskins und sind in keiner Weise diskret. Ist Ihnen eigentlich schon mal in den Sinn gekommen, dass Ihre Affären ein schlechtes Licht auf das gesamte Rudel werfen könnten?»
Das ließ sich nun wirklich von vielen seiner Verwandten behaupten. Semjon war entrüstet. «Was ist schon dabei, Iwan? Soll ich etwa zum Mönch werden?»
«Machen Sie sich doch nicht lächerlich.»
«Was erwarten Sie dann von mir?», fragte Semjon ungehalten.
«Ich rufe Ihnen lediglich in Erinnerung, dass jede Liebschaft auch ein gewisses Risiko in sich trägt», erklärte Iwan steif.
Semjon verschränkte die Arme vor der Brust, bereit, mit herausforderndem Blick in den Augen seinen Mann zu stehen. «Was das angeht, Iwan, da sind wir einer Meinung. Und zwar mehr, als Sie ahnen. Aber ich bin ein freier Mann, und meine Herzensangelegenheiten sind meine Sache und nicht die Ihre.»
Der Hausvorsteher seufzte und warf Semjon einen strengen Blick zu. «Wer ist es denn dieses Mal?»
«Ich weiß nicht, wovon Sie da reden.»
«Grischa, Todt und Wladimir haben mir berichtet, dass sie in Ihrem Auftrag ein kleines Haus in Mayfair bewachen.»
«Ach das.» Semjon löste seine verschränkten Arme und begann, im Zimmer auf und ab zu marschieren. «Das gehört einem Freund von mir.»
«Wieso sind die Männer dann vor dem Gebäude postiert? Ich nehme kaum an, dass sie die Geranien auf den Fensterbänken bewachen», fügte Iwan wohlüberlegt hinzu.
«Nein, ganz recht. Das tun sie nicht.»
«Sie sind recht zugeknöpft, nicht wahr? Die Männer haben mir berichtet, dass niemand außer Ihnen dort ein und aus geht.»
«Na, dann gibt es doch auch keinen Grund zur Sorge, nicht wahr, Iwan?»
Der ältere Mann räusperte sich. Er war eindeutig nicht zufrieden mit der Antwort.
Semjon versuchte sein aufloderndes Temperament im Zaum zu halten und rief sich in Erinnerung, dass die jüngeren Mitglieder des Rudels – die drei Wächter eingeschlossen – dazu verpflichtet waren, Rechenschaft über ihre Aktivitäten abzulegen. Ihm selbst stand eine Form der Freiheit zu, welche die anderen sich erst noch verdienen mussten. Aber er fluchte innerlich, dass er vergessen hatte, die drei Männer anzuweisen, noch nichts über das Haus in Mayfair verlauten zu lassen.
Nicht dass er sie zum Lügen auffordern würde. Aber er hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Angelica sehr lange in diesem Haus bleiben würde. Auf ihre zurückhaltende Art war sie doch wild wie eine Wölfin. So hatte er in ihren wunderschönen Augen noch keinen Blick bemerkt, der darauf schließen ließ, dass sie für immer bei ihm bleiben wollte – selbst, als sie nach einer Nacht, einem Tag und einer weiteren Nacht köstlicher Liebesspiele so glückselig in seinen Armen gelegen hatte.
Noch hatte er sie nicht gebeten, die Einzelheiten ihrer seltsamen Entführung zu offenbaren. Die junge Frau schien ihr gesamtes Vertrauen in ihn gelegt zu haben – gerade so, als hätte der Verlust der Jungfernschaft ihre Angst wie von Zauberhand verschwinden lassen. Wie ein Recke hatte er sich
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