Die Leidenschaft des Cervantes
Professors, wie allgemein erwartet wurde, das Gros seines beträchtlichen Vermögens geerbt?
Einige Wochen nach dem öffentlichen Begräbnis betrat Pascual mein Büro, um mir Dokumente zu geben, die meine Aufmerksamkeit verlangten. Ich sah das Glitzern in seinen Augen, das gemeinhin interessantem Klatsch vorausging. Ich forderte ihn auf, Platz zu nehmen.
»Don Luis, ganz Madrid spricht vom Testament von Professor López de Hoyos«, begann er. »Jeder ist erstaunt, dass er seinen früheren Lieblingsstudenten überging und sein gesamtes Vermögen Luis Gálvez de Montalvo hinterließ, der, wie wir alle wissen, durch die Einnahmen aus El pastor de Fílida zu Wohlstand gekommen ist und das Geld zweifellos nicht braucht. Im Gegensatz zu Cervantes, der völlig mittellos ist. Wie Ihr Euch vorstellen könnt«, fügte Pascual hinzu, ohne seine Schadenfreude zu verhehlen, »torkelt Cervantes nur noch betrunken durch die Straßen, beklagt sein großes Unglück und rauft sich in aller Öffentlichkeit die Haare.«
Ich schürzte die Lippen, um nicht laut zu lachen. »Irgendwie überrascht mich das nicht, Pascual«, sagte ich. »Ich verstehe die Beweggründe meines alten Professors: Er zog es vor, Leistung zu belohnen, nicht Bedürftigkeit. Und so soll es auch sein.«
Danach war es, als wäre Miguel vom Erdboden verschluckt: Monate vergingen, ohne dass man von ihm hörte. War er so niedergeschmettert, dass er Madrid schließlich endgültig verlassen hatte? Um eines beneidete ich ihn nicht: sein Glück. Mittlerweile war ich es gewohnt zu erleben, dass Miguel alle Rückschläge überwand. Trotzdem überraschte es mich, als Pascual mir in heller Aufregung mitteilte, Miguel sei in der Taverne seiner Geliebten gesehen worden. »Die Spelunke liegt in der berüchtigten Calle de los Tudescos, also können Don Luis sich vorstellen, um welche Art Lokalität es sich handelt: In der Straße ist jedes zweite Haus ein Bordell. Und in ebendieser Taverne prahlte er damit, dass er seinen Schäferroman fertiggestellt hat. Das Geheimnis hat er gut gehütet, niemand wusste, dass er die Absicht hatte, ein Verfasser von Schäferromanen zu werden.«
»Ich habe schon vor Längerem von dem Vorhaben gehört«, sagte ich. »Ein guter Freund von mir, der Seiner Majestät am Hof in Lissabon dient, erwähnte es in einem Brief.«
Pascual schwieg, als erwartete er, Näheres über meinen Freund am portugiesischen Hof zu hören. Er ergötzte sich daran, die Namen bedeutender Persönlichkeiten und Informationen über ihr Privatleben zu erfahren.
»Seit wann hat er eine Geliebte?«
Es gelang Pascual recht gut, seine Enttäuschung zu verbergen, dass ich die Identität meines Freundes bei Hof nicht preisgab, und sie hinderte ihn auch nicht daran, weiter Klatsch zu verbreiten. »Sie heißt Ana Franca, auch bekannt als Ana de Villafranca. Sie ist eine aus Madrid gebürtige Jüdin. Ich habe sie in der Taverne gesehen, sie ist ein junges, hübsches Ding, halb so alt wie Cervantes. Ihre Eltern haben sie mit einem Mann namens Alonso Rodríguez verheiratet, einem Kaufmann aus Asturien, der wegen seiner Geschäfte immer wieder lange Zeit verreist ist. Offenbar weiß bis auf ihn jedermann Bescheid über sie und Cervantes.«
Dann hatte Miguel also nichts von seinem Charme bei den Damen verloren. Sicher hatte er die junge Schenkenwirtin mit Geschichten von Schlachten, Gefangenschaft und seinen Ausflügen in die Welt des Theaters verführt. Wie bequem für ihn, eine Geliebte gefunden zu haben, die ihm außer einem Platz in ihrem Bett auch umsonst zu essen und zu trinken gab. Und natürlich hatte er sich eine Jüdin ausgesucht – eine aus seinem Volk.
Pascual fuhr fort: »Leute haben ihn im betrunkenen Zustand sagen hören, dass sein Roman La Galatea alle Schäferromane in den Schatten stellen wird, die bislang geschrieben wurden. In Anbetracht der Tatsache, dass er gut mit Luis Gálvez de Montalvo befreundet ist, dessen El pastor de Fílida als der trefflichste bislang in Spanien veröffentlichte Schäferroman gilt, finde ich das den Gipfel der Unverschämtheit. Ich habe den Roman nicht gelesen, wenn auch nicht aus Mangel an Interesse.«
»Ich habe ein Exemplar«, sagte ich. »Ich kann es Ihm borgen. Und was Cervantes betrifft, so wünsche ich ihm viel Glück mit seinem Roman.« Dann lenkte ich das Gespräch auf ein paar Dokumente, die mir am Tag zuvor überbracht worden waren. »Kann Er sie lesen und mir einen Bericht darüber geben? Ich brauche ihn sofort«, sagte ich
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