Die Leidenschaft des Cervantes
Versen. Die Leserschaft von Schäferromanen setzt sich aus dummen Männern und sentimentalen Frauen zusammen. Die Gestalten in den Geschichten sind llorones , die in jedem zweiten Satz einzeln (oft aber auch im Chor) über alles auf der Welt weinen. Schafe, Ziegen und Kälber blöken nicht, sie lamentieren. Es ist ein Wunder, dass nicht auch die Steine, auf denen die Schäfer sitzen, und die Bäume, in deren Schatten sie und ihre Tiere Schutz suchen, wehklagen.
Weshalb Menschen sich dafür begeistern, Geschichten von stumpfsinnigen, unhygienischen, verwanzten Schäfern zu lesen, die schlimmer riechen als die Herden, die sie hüten, übersteigt mein Verständnis. Und was ließe sich zur Verteidigung solcher Machwerke vortragen? Ich glaube nicht, dass auch nur ein vernunftbegabter Mensch die absurden Verwicklungen dieser Geschichten in einen sinnvollen Zusammenhang bringen könnte. Die Schreiber dieser Schäferromane sind vulgäre, geldgierige Wortkrämer. Wo bleiben die Schriftsteller großer, erhabener spanischer Epen? Sind diese Bücher nicht ein Beweis für den Verfall unserer hehren spanischen Werte?
Mit der ihm eigenen Vermessenheit musste Miguel geglaubt haben, ein Mensch, dem eine klassische Bildung fehle, könne andere mit List und Tücke glauben machen, er sei ein ernstzunehmender Schriftsteller. Dieselben Schwächen, die mir in dem einen Stück Miguels, das ich gesehen hatte, aufgefallen waren, stachen mir bereits im ersten Satz von La Galatea ins Auge. Für mich lag es auf der Hand, dass unter den Hauptfiguren Elicio, der Hochgeborene, mich darstellte, während Erastro, der Niedere, Miguel war. Beide sind Schäfer, beide sind in die schöne Schäferin Nírida verliebt, die ein Idealbild Mercedes’ ist. Sie wird als Frau von solcher Schönheit beschrieben, dass – wie man vermeinte – »die Natur in ihr die Fülle ihrer Vollkommenheit versammelte.« Nírida ihrerseits liebt keinen der beiden und weist sie beide zurück. Und das ist, so unglaublich es klingen mag, die ganze Geschichte! Gegen Ende des Romans findet sich eine lange Liste all der noch lebenden spanischen Dichter, deren Werk Miguel angeblich bewunderte. Das war sein Versuch, sich bei jedem einzuschmeicheln, der jemals einen Vers zu Papier gebracht hatte, wie unbeholfen auch immer. Dieser Abschnitt war ein weiterer Beweis dafür, dass Miguels Gehirn in der sengenden Sonne der Barbareskenküste eingetrocknet war.
Wie immer wurde La Galatea von den üblichen Narren und unmoralischen Gauklern gefeiert, die lobende Sonette darüber schrieben. Selbst der große Lope de Vega, der die Mittelmäßigkeit des Buches hätte erkennen müssen, entweihte seine Feder. Es war unverkennbar, dass diese Schreiberlinge den vom Unglück verfolgten Krüppel priesen, den Überlebenden, den Scharlatan, und nicht die abschreckende Prosa. Dennoch konnte ich nicht dem Drang widerstehen, die Geschäfte in Madrid aufzusuchen, in denen Bücher verkauft wurden, und mich nach dem Erfolg des Romans in der Öffentlichkeit zu erkundigen. Zu meiner Erleichterung fand Miguels opera prima bei den Lesern von Schäferromanen keinen großen Anklang, trotz der Bemühungen seiner Kumpane, Glasperlen als Edelsteine auszugeben.
Miguel hatte als Soldat versagt, als Dichter, als Dramatiker und als Romanautor. Würde vielleicht die Scham ihn davon abhalten, sein Gesicht jemals wieder in den literarischen Kreisen Madrids zu zeigen? Esquivias klang wie das ideale Provinznest, in dem er sich für den Rest seiner Tage vergraben konnte. Dort, fernab der Zivilisation, konnte er das kümmerliche Leben eines mittellosen Hidalgos führen und seine Tage damit zubringen, die einfältigen alten Dorfbewohner, die sich in den stinkenden Tavernen trafen, mit seinen Schwänken über seine Tage als Soldat und Sklave zu unterhalten. Diese schlichten Seelen würden sich zweifellos von den exotischen Geschichten beeindruckt zeigen, die er ihnen um den Preis einer Pinte Wein erzählte. Den Algeriern mochte es vielleicht nicht gelungen sein, Miguel den Garaus zu machen, doch die Langeweile des Lebens in dem gottverlassenen Dorf würde das zweifellos erfolgreich bewerkstelligen.
Jetzt, da Miguel nicht mehr in Madrid war, lebte ich allein für meine Arbeit und meinen Sohn und sorgte dafür, dass er die Erziehung erhielt, die dem Spross einer Familie unseres Standes gebührte. Pater Jerónimo und ich waren erleichtert, dass Diego das Interesse an komplexen theologischen Erörterungen völlig verloren hatte.
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