Die Leidenschaft des Cervantes
aufgetragen wurde. »Zum einen gibt es hier die Weinberge, die seit Generationen in Familienbesitz sind, und dann muss ich überprüfen, ob meine Pächter auch tatsächlich den Zins bezahlen.« Ein Ausdruck der Trauer zog über ihr Gesicht. »Pedro und ich hatten drei Kinder, aber nur eines – das nach seinem verstorbenen Vater benannt ist – überlebte die Kinderkrankheiten. Mein Sohn ist in Neuspanien, wo er ein hoher Beamter am Hof des Vizekönigs ist.« Sie machte eine umfassende Geste. »Daher stammen auch die ganzen Silberwaren, die den Tisch schmücken. Ich freue mich für ihn, denn genau das wünscht er sich. Aber es bedeutet auch, dass ich mich allein um den Familienbesitz kümmern muss. Mir wäre es lieber, mein Sohn wäre in Spanien, als dieses ganze kostbare Besteck zu besitzen.« Sie seufzte.
Zwar trug sie Witwentracht, doch das glänzende Seidenkleid brachte ihren üppigen Busen gut zur Geltung, zumal sie am Ausschnitt eine Brosche aus zwei großen Smaragden trug – ein quadratischer und ein hexagonaler Stein, gefasst in einen kräftigen goldenen Rahmen, in den neuweltliche Fauna graviert war. Ihr glänzendes schwarzes Haar hatte Doña Juana zu einem Chignon gebunden und mit einem schwarzen, mit winzigen Perlen besetzten Muschelkamm festgesteckt. Die dunkle Nacht schmeichelte ihren betörenden Augen. Kein Wunder, dass mein guter Freund Pedro sie angebetet hatte. Streng rief ich mich zur Ordnung – ich war rein geschäftlich hier.
»Die Leute hier im Ort können es kaum erwarten, Eure Bekanntschaft zu machen. Ich möchte, dass Ihr die interessantesten Einwohner von Esquivias kennenlernt«, sagte Doña Juana und ließ sich einen weiteren Bissen des saftigen Eintopfs aus Kaninchen, Karotten und Kichererbsen schmecken. »Sonst geht Ihr vor Langeweile ein.«
Ich trank einen Schluck des aromatischen, seidigen Weins. Das üppige Aroma stieg mir durch die Nase ins Gehirn hinauf. Das berauschende Elixier übertraf noch seinen Ruf. In Zukunft würde sich jeder andere Rotwein, den ich trank, als herbe Enttäuschung erweisen. »Doña Juana, sicherlich übertreibt Ihr«, sagte ich.
»Miguel de Cervantes, offenbar vergesst Ihr, dass Ihr ein Kriegsheld seid, ein Mann, der die Welt gesehen hat, ein gefeierter Dichter und der Autor eines in Kürze erscheinenden Schäferromans. Glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass all diese Leistungen Euch in die höchsten Kreise der Gesellschaft von Esquivias erheben. Und nun zu Euren Pflichten, mein junger Freund: Ihr habt den ganzen Tag, um Pedros Werk zu ordnen. Ihr könnt nach Belieben kommen und gehen. Aber Eure Abende gehören mir. Wenn ich in Esquivias bin, erwarten meine Nachbarn, dass ich unser provinzielles Einerlei etwas belebe, und sie wollen immer die neuesten Neuigkeiten aus Madrid erfahren. Ich werde mein Möglichstes tun, damit wir viele tertulias in meinem Haus abhalten, und diese Gesellschaften möchtet Ihr bitte als die Euren erachten. Außerdem habe ich vor, jede Einladung anzunehmen, die meine Freunde aussprechen.« Mit verschwörerischer Miene, begleitet von einem Zwinkern, fügte sie hinzu: »Mein verehrter Freund, dies wäre ein guter Ort für Euch, heimisch zu werden und Wurzeln zu schlagen. Es gibt hier einige junge Frauen, die aus vornehmen hier ansässigen Familien stammen und für einen Mann Eures Ansehens eine würdige Ehefrau wären. Seien wir doch ehrlich, mein Freund, früher oder später werdet Ihr Eurem unsteten Junggesellendasein ein Ende bereiten müssen.«
In der Ferne heulte ein Wolf, dann erscholl als Echo darauf das Heulen eines zweiten.
»Ja, hier gibt es Wölfe«, sagte Doña Juana. »Aber solange Ihr nachts nicht allein über das Land streift, habt Ihr nichts zu befürchten.«
Ich fragte sie, ob sie Sancho Panzas Familie kenne.
»Woher wisst Ihr von den Panzas?«
Ich erklärte es ihr.
»Ach, hier im Ort kennen wir uns alle. Die arme Teresa hatte ein kleines Kind, als die grausamen Korsaren Sancho vor all den Jahren verschleppten. Man hörte nie wieder von ihm. Sie wird sich freuen zu erfahren, dass Ihr ihrem Mann in dem abscheulichen Land von Götzenanbetern begegnet seid. Teresa arbeitet zeit ihres Lebens für unsere Familie. Und jetzt arbeitet auch ihre Tochter Sanchica für mich.«
Nachdem wir uns zur Nacht verabschiedet hatten, ging ich in den Garten, um meine Pfeife zu rauchen. Venus strahlte hell und golden. Sie erinnerte mich an meine erste Nacht in Algier. Was würde das Leben in dieser Stadt mir im Lauf der nächsten
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