Die Leidenschaft des Cervantes
bedrohte, die Macht haben würde, ihn direkt in die Hölle zu schicken, wohin er gehörte.
KAPITEL 7
IN EINEM ABGELEGENEN WINKEL DER MANCHA
1584
An einer Straße, die aus dem Herzen der Mancha nach Toledo führt, gelangt der Reisende zu dem kleinen Berg namens Santa Barbara, auf dem eine zerfallene Kirche thront. Sie stammt aus der Zeit, als Mauren und Christen sich wegen der Herrschaft über Kastilien bekriegten. Santa Barbara ist bekannt für die weißen Eichen, die an ihren Hängen wachsen und Eicheln hervorbringen, welche begehrt sind wegen ihres nussigen Geschmacks. An wolkenlosen Tagen wird der Reisende, der die Kuppe des Hügels erreicht, mit der indigoblauen Silhouette der Sierra de Guadarrama am Horizont belohnt und dem Blick auf die Weinberge und Getreidefelder des Dorfes Esquivias und der weiteren Umgebung, der Sagra Alta, wo in der Antike die Göttin Ceres verehrt wurde. Die Westgoten, die Esquivias gründeten, gaben dem Dorf auch seinen Namen, der auf Althochdeutsch so viel bedeutete wie »extremer, abgelegener Ort«.
Von meinem Freund im algerischen bagnio , Sancho Panza, hatte ich zum ersten Mal von Esquivias gehört. Er hatte die Qualität des dortigen Rotweins gepriesen, der besser sei als jeder andere Wein aus der Mancha, und mich bei jeder Gelegenheit daran erinnert, dass dieser Wein nur von den glücklichen Esquivianern und König Philipp II. getrunken würde. Als die Jahre vergingen, fragte ich mich hin und wieder einmal, ob Sancho wohl in der Wüste verdurstet, von einer Viper gebissen oder von Löwen oder Wölfen verschlungen worden war, oder ob Berber ihn gefangengenommen und versklavt hatten. Wenn seine Familie noch in Esquivias lebte, würde ich sie aufsuchen und ihnen meine Ehrerbietung für den Schutzengel meiner ersten Jahre in Algier erweisen.
Ich trieb mein Grauohr auf den unscheinbaren Saumpfad, der am Fuß des Santa Barbara von der Hauptstraße abzweigte, und ritt an einem Spätnachmittag während der Erntezeit ins Dorf hinein. Mein Maultier trabte an schwatzenden und lachenden Landmädchen auf offenen Karren vorbei, an jungen Frauen, die mit Körben voll grüner und blauer Weintrauben beladene Esel führten. Die Brüste, Hände, Lippen, Wangen, Kleider und vor allem die Füße dieser Mädchen waren purpurn gefärbt vom Saft der Trauben, hinter ihnen zog eine stark nach Most riechende Wolke her.
Ich kam mit zerschundenem Leib, aber Hoffnung im Herzen nach Esquivias. Ich war froh, Madrid verlassen zu haben, nachdem ich zu dem Schluss gekommen war, dass es zu großen Verdrießlichkeiten führen würde, wenn ich weiterhin Gast in Ana Villafrancas Bett blieb. Sie war eine gute Geliebte, die meine männlichen Bedürfnisse und Gelüste befriedigte und im Gegenzug wenig mehr verlangte, als dass ich ihren amourösen Hunger stillte. Aber das Leben in der Taverne, deren Kundschaft aus ehemaligen Häftlingen und anderen dubiosen und gefährlichen Figuren bestand und wo Raufereien oft in Blutvergießen und bisweilen mit dem Tod endeten, war dem Schreiben nicht zuträglich. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Anas Mann, aufgestachelt von der Bemerkung eines Betrunkenen, mich zum Duell herausgefordert hätte – und ich war des Flüchtens leid.
Ein anderer Vorteil meines Aufbruchs war, dass ich nichts mehr mit der ruchlosen literarischen Welt Madrids zu tun haben würde. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich allen Grund, hoffnungsvoll zu sein: Nach vielen Verzögerungen sollte im kommenden Frühjahr La Galatea veröffentlicht werden. Der Traum, dass mein Roman mir zu Ruhm und Ansehen verhelfen und meine materielle Situation verbessern würde, beflügelte meine optimistische Natur.
Die Einladung nach Esquivias verdankte ich Doña Juana Gaitán, der Witwe meines guten Freundes, des angesehenen Dichters Pedro Laínez, den ich, was die Dichtung betraf, als meinen Meister betrachtete. Pedro war Anfang des Jahres unerwartet gestorben, und Doña Juana befürchtete, er könne in Vergessenheit geraten, wenn seine Gedichte nicht veröffentlicht würden. Ich bewunderte Pedros Werk von Herzen, was auch allgemein bekannt war. Doña Juana (Gott segne sie!) kam zu dem Schluss, dass ich der geeignete Dichter sei, um die handschriftlichen Gedichte zu sichten, die Pedro auf losen Blättern und Zetteln hinterlassen hatte, und sie zur Veröffentlichung zusammenzustellen. Pedro, ein aufrechter kastilischer Hidalgo , hatte sich meiner angenommen, als ich von Algier nach Madrid kam und nur noch wenige
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