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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Eurer Meinung: Ich finde die Nachahmungen leidig.«
    Pater Palacios lächelte und fuhr fort: »Ich besitze auch eine fast zerlesene Ausgabe von Tirant lo Blanc , für mich eines der geistreichsten Bücher, die ich je gelesen habe. Und ich gestehe eine Schwäche für die Diana von Jorge Montemayor, aber auch hier kann ich den Nachahmungen nichts abgewinnen. Natürlich besitze ich noch viele andere Bücher, doch das sind die Schätze meiner Bibliothek. Was allerdings Gedichtbände angeht, muss ich zugeben, Don Miguel, dass ich keine habe, denn alle Dichtung, die ich brauche, finde ich im Hohelied . Und auf die Gefahr hin, Euch zu kränken, mein verehrter neuer Freund«, fuhr er fort, »denn wie ich höre, gehört Euer demnächst erscheinender Roman der Schäfergattung an, muss ich bekennen, dass sie mir überhaupt nicht zusagt. Nur ein Mann, der nie eine Zwiebel aus der Erde gezogen und keine einzige Ziege gemolken hat, kann derartigen Unsinn schreiben.«
    »Der überwiegende Teil missfällt auch mir«, sagte ich.
    »Ich sehe, wir könnten Freunde werden. Wir haben vieles gemein. Ihr seid herzlich eingeladen, jederzeit in der Sakristei auf einen Besuch vorbeizukommen – ich gehe davon aus, dass Ihr als guter Christ recht häufig die Messe besucht und zur Beichte geht, denn man weiß nie, wann der gute Herrgott einen zu sich beruft, und es ist besser, stets gewappnet zu sein. Es steht Euch frei, Euch jedes Buch auszuborgen, das Ihr nicht kennt oder das Ihr ein zweites Mal lesen möchtet. Es wäre mir eine große Freude, es Euch leihen zu dürfen. Dann können wir uns bei einem Glas unseres nie zu sehr gepriesenen Weins darüber unterhalten. Meines Erachtens liegt viel Wahrheit in der Redewendung In vino veritas . Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr mir literarische Gespräche fehlen, wenn Doña Juana in Madrid ist. Die einzige andere Person, die in unserer Region literarischen Geschmack bewies, war mein herausragender Freund, der geistvolle Hidalgo Don Alonso Quijana, ein Mann von großer Gelehrsamkeit, was Bücher betraf, der Ritterromane liebte und in fortgeschrittenem Alter Mönch wurde. Es ist kaum zu glauben, dass er nun schon seit über vierzig Jahren tot ist. Ach, wie die Zeit doch verfliegt, ich gebe Euch den Rat: carpe diem .«
    Unterdessen hatten wir den ersten Gang verspeist, eine köstliche carcamusa , die derart großzügig auf unsere Teller geschöpft worden war, dass ich befürchtete, in meinem Bauch wäre kein Platz mehr für den zweiten Gang. Doch aus der Küche trieb der würzige Duft gebratener Wachteln herüber.
    »Don Alonso starb vor meiner Geburt«, warf Doña Juana ein, sie wischte gerade ihren Teller mit einem Stück Brot aus. »Wie dem auch sei, Don Alonsos Urgroßnichte und Pater Palacios’ Nichte, Doña Catalina de Salázar, die Mutter der hinreißenden Catalina, kommt nächste Woche zu uns zum Essen. Ich hätte die beiden ja heute Abend schon eingeladen, denn ich möchte gerne, dass Ihr die schöne und tugendsame Catalina kennenlernt, aber ihre Mutter ist gerade mit ihr in Toledo, wo sie die Zinsen eintreibt, die meiner Freundin von ihren dortigen Pächtern zustehen.«
    »Don Miguel, es ist keine Übertreibung, wenn Doña Juana meine Großnichte Catalina als die größte Schönheit von Esquivias beschreibt«, sagte Pater Palacios.
    Mein Interesse war geweckt, aber noch ehe ich etwas über die schöne Catalina in Erfahrung bringen konnte, wurde ein Berg mit Honig überzogener Wachteln in die Mitte des Tisches gestellt.
    Als der Abend vorangeschritten war, wir uns in den Salon zurückgezogen und auf bequemen Kissen niedergelassen hatten, sagte Doña Juana: »Euch zu Ehren, Miguel, und um meine Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen, dass Ihr in meinem Haus zu Gast seid, habe ich eine meiner größten Sünden der Eitelkeit begangen: Ich habe ein Sonett geschrieben.«
    Viele Jahre sind seit dem unvergesslichen Abend vergangen, doch an einige Verse Doña Juanas erinnere ich mich heute noch:
    Oh, Ihr Held Lepantos, jenes Schreckensortes,
    an dem Ihr, Eurer Hidalgo -Ehre zum Ruhme,
    Eure kostbare linke Extremität verloret
    Bei der Verteidigung unsres Sonnenkönigs Philipp,
    Unsrer Heiligen Römisch-Katholischen Kirche –
    Der einzig wahren – und unseres hehren Mutterlandes;
    Ihr edler Sohn Alcalás, überfallen und geraubet
    Von den infamen Gebrüdern Barbarossa und verbracht
    In die höllischen Kerker des maurischen Algier …
    Als sie zur dritten Strophe ansetzte, hatte ich bereits

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