Die Leidenschaft des Cervantes
Freunde aus meiner Studentenzeit dort hatte. Er hatte mich einigen der herausragendsten Dichter vorgestellt, die damals in der Königsstadt lebten. In diesem erlauchten Kreis hatte Pedro die wenigen Gedichte, die ich während meiner Jahre im bagnio zu Papier hatte bringen können, in höchsten Tönen gelobt. Auf seine Fürsprache hin wurde ich in den anregenden, wenn auch zänkischen literarischen Zirkel Madrids aufgenommen.
»Ihr könnt so lange in meinem Haus in Esquivias bleiben, wie Ihr braucht, um Pedros Gedichte für den Druck vorzubereiten«, hatte Doña Juana in ihrem Salon in Madrid gesagt, in den sie mich gebeten hatte. »Ich verspreche, Euch in Ruhe arbeiten zu lassen. Unser Haus ist einer der großen manchegischen Landsitze, wo Menschen unter einem Dach leben können, sich aber nur zu sehen brauchen, wenn sie Gesellschaft wünschen. Ich weiß nicht, was eine angemessene Entlohnung für diese Art Arbeit wäre, aber ich kann Euch für Eure Mühen zwanzig escudos anbieten, wenn Ihr damit einverstanden wärt.«
Die Überraschung stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn Doña Juana verstummte und warf mir einen fragenden Blick zu. Ihr Angebot kam in einem Moment, als ich, von Anas Mildtätigkeit abgesehen, praktisch am Bettelstab ging. Nicht nur waren meine Taschen leer, einige Tage zuvor hatte Ana mir, benebelt von Wein, vorgeworfen, ich hätte eine Romanze mit einer Bedienung aus der Taverne; ich lag in unserer Kammer und war dabei einzuschlafen, als Ana mit einer Schere über mich herfiel. Ich hatte Glück, dass sie nicht auch noch meine gute Hand verletzte.
»Bedeutet Euer Schweigen, dass das Angebot Euch konveniert?«, fragte Doña Juana. Beim Lächeln blitzten ihre schwarzen Augen auf. »Esquivias ist ein kleines Dorf mit gerade einmal dreihundert Seelen.« Im Versuch, den Ort reizvoller klingen zu lassen, fügte sie hinzu: »Siebenunddreißig unserer guten Familien stammen von Hidalgos ab. Außerdem macht Señora Petra, meine Köchin, den köstlichsten Eintopf aus Kaninchen und Fasan, himmlische Linsen und carcamusas , die in den Himmel gelobt werden von allen, die das Glück hatten, sie kosten zu dürfen. Als Dichter, der die ganze Welt gesehen hat, brauche ich Euch sicher nichts über die unvergleichliche Qualität unseres Rotweins zu sagen. Mein Weinkeller ist – wenn ich so unbescheiden sein darf, das zu behaupten – einer der besten in der ganzen Mancha.«
Ein solch verlockendes Angebot hatte ich nicht mehr bekommen, seit ich als junger Mann nach Rom gekommen war und Kardinal Acquaviva mich aufgefordert hatte, für ihn zu arbeiten.
Die Worte der Witwe klangen mir in den Ohren, als ich in den Ort hineinritt. Alte, in verblassten Hidalgo -Staat gekleidete Männer spazierten mit ihren weißen Windhunden an der Leine durch die Straßen. Ich kam an der hübschen, auf einem Hügel stehenden Kirche von Esquivias vorbei, deren hoher mozarabischer Turm das Stadtbild beherrschte. Elegante Trauerzypressen, die wie umgekehrte Ausrufezeichen wirkten, wuchsen in einem kleinen Park neben der Kirche.
An jedem zweiten Haus, das ich passierte, prangte ein staubiges, verblichenes Wappen. Bei den herrschaftlichen Häusern war über jedem Fenster ein Steinkreuz ins Mauerwerk graviert. Die kunstvollen Dekorationen auf den mächtigen Portalen verdeutlichten die Position der dort lebenden Familie. Die Türen erinnerten mich an die der Häuser in der casbah , nur waren sie hier weit nüchterner, ein Abbild der kargen manchegischen Landschaft. Mir war, als würde ich einen Ort betreten, in dem die Zeit stehen geblieben war. Der Wegbeschreibung zum Haus der Witwe folgend, ritt ich erwartungsvoll in das träge goldene Zwielicht von Esquivias.
An meinem ersten Abend in dem herrlichen alten Haus aßen die Witwe und ich allein in einem intimen Speisezimmer, in dem sie in glücklicheren Zeiten wohl ihre Mahlzeiten mit Pedro eingenommen hatte. Wir saßen an einem roten Eichentisch auf Armstühlen mit hoher Lehne, deren Sitzfläche mit burgunderfarbenem Samt bezogen war. Zwei große alte Heiligengemälde schmückten den Raum, doch konnte ich sie in dem schwachen Licht, das die Kerzen auf der Anrichte und dem Tisch warfen, kaum ausmachen. Das Fenster hinter Doña Juanas Stuhl stand offen und gab den Blick auf die sternenklare Nacht frei, ein laue Brise wehte von der dunklen Ebene der Mancha herein.
»Ich verbringe meine Zeit zur Hälfte in Esquivias und zur Hälfte in Madrid«, sagte Doña Juana, als das Essen
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