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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Monate bringen? Aber einstweilen, bis die Zukunft sich entfaltete, war dies kein schlechter Ort, um meine leeren Taschen zu füllen, meinen geschundenen Leib zusammenzuflicken und das Streben und Mühen einzustellen.
    An meinem ersten Morgen in Doña Juanas Haus erwachte ich zum Gesang der Vögel, ihr munteres Flöten schien aus allen Winkeln des Städtchens zu schallen. Nach einem Becher Schokolade und einer Scheibe frisch gebackenen, gebutterten Brotes brach ich zu einer ersten Erkundung auf. Schwärme von Spatzen, Schwalben und Turteltauben flatterten in der Kühle des manchegischen Morgens. Ein derartiges Glücksgefühl hatte ich nicht mehr empfunden, seit ich vor fast fünf Jahren den Fuß wieder auf spanischen Boden gesetzt hatte. Der Ort erschien mir wie ein ländliches Paradies, fernab von Krieg und Zerstörung, wo Menschen und Natur in Eintracht lebten. Muntere Bäche flossen in der Mitte der gepflasterten Straßen, das klare Wasser roch, als wäre es in blühenden Orangenhainen entsprungen. Vielleicht war dies der Ort, an dem ich mich endlich von den Jahren in Algier befreien konnte. Vielleicht konnte ich mich in Esquivias verstecken, bis ich die Ketten durchtrennt hatte, die mich an Ana Villafranca und Madrids Schattenwelt banden, wo mich wohl nur der Tod oder der Kerker erwartete.
    Ich machte mich an meine schöne, wenn auch traurige Arbeit. Einige Gedichte hatte Pedro in Notizbücher geschrieben, die meisten jedoch auf lose Blätter. Insgesamt waren es rund zweihundert unveröffentlichte Dichtungen, praktisch alle undatiert. Viele waren mit »Damon« signiert, seinem Pseudonym für seine bukolische Dichtung. In der Fülle seiner Werke, von denen ich einige kannte, fand ich die üblichen Nachdichtungen Petrarcas und der cancioneros . Es war das Echo der Musik Garcilasos, das mich von Anfang an bei Pedros Versen angesprochen hatte. Aber Pedro ahmte den unsterblichen Barden nicht einfach nach, vielmehr hatte er mit Hilfe der gängigen Konventionen Gedichte von großer Eigenständigkeit und Aufrichtigkeit geschrieben. In seinen barocken Liebesgedichten beschäftigte er sich mit der Flüchtigkeit unseres Daseins in der Welt. Es würde ein Geduldsspiel werden, seine verschlungene Schrift zu entziffern, aber die Gedichte zu katalogisieren, würde eine schöne Arbeit sein. Fast kam es mir vor, als würde ich das Gespräch mit meinem Freund über das Grab hinaus fortsetzen. Dies war die beglückendste Aufgabe, die ich je gehabt hatte. Sollte sich mein Los tatsächlich zum Besseren wenden?, fragte ich mich.
    Doña Juana präsidierte mit Vergnügen bei zahlreichen abendlichen Essensgesellschaften, bei denen der rote Wein aus Esquivias in Strömen floss. Die Gerichte ihrer Köchin waren ausnahmslos vorzüglich: weiße Bohnen mit Kaninchen oder Fasan, carcamusa aus bestem Kalbfleisch und Unmengen Zwiebeln, Sellerie und frischesten Hülsenfrüchten, und die manchegischen migas , zubereitet mit scharfer Chorizo, reichlich Knoblauch, noch mehr Speck und roter Paprika, das alles bedeckt mit den reifsten und saftigsten Trauben, die die Reben hervorbrachten. Aus Doña Petras Händen war ein solch schlichtes Gericht wie eine Linsensuppe herzhaft, wohlriechend und schmackhaft wie eine Delikatesse. Die Vorliebe ihrer Herrin für gutes Essen sorgte dafür, dass das Feuer in der Küche nie erlosch, dass in irgendeinem Topf immer etwas köchelte und dass den ganzen Tag die köstlichsten Düfte bis in den hintersten Raum des Hauses vordrangen.
    Die Witwe liebte Dorfklatsch nicht minder als das Essen. Bei der ersten Abendgesellschaft, die sie mir zu Ehren gab, lernte ich den schon älteren Priester des Orts kennen, Juan de Palacios. Sein Haupthaar und sein Bart waren weiß, sein Gesicht war von der unbarmherzigen Sonne der Mancha zerfurcht, doch seine kleinen Augen funkelten vor Wissbegier.
    »Doña Juana lobt Eure Dichtung in den höchsten Tönen. Sie sagte auch, dass Eure Stücke vielfach aufgeführt wurden und dass Ihr demnächst auch als Romanautor in Erscheinung tretet. Ich habe eine Schwäche für Ritterromane, Don Miguel. Ich besitze die vier Bände von Amadis de Gaula , die meiner Ansicht nach – obwohl ich ein einfacher Landpfarrer bin und keineswegs ein Gelehrter – die besten Bücher dieser Art sind. Ihre Nachahmer sagen mir hingegen weniger zu.« Er brach ab und wartete auf meine Antwort.
    »Doña Juana ist mit ihrem Urteil über mein Talent viel zu großzügig. Und was die Ersatz-Amadisse betrifft, so bin ich ganz

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