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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Ich werde dir nie ein Kind gebären. Du hast eine wunderschöne Tochter, und du musst dafür Sorge tragen, dass du ihr ein guter Vater bist. Ich werde Isabel behandeln und lieben, als wäre sie mein eigen Fleisch und Blut. Aber ich will kein eigenes Kind in die Welt setzen, ein Kind, das einen skrupellosen Trunkenbold zum Vater hätte, einen schwachen Mann, der seine Familie nicht versorgen kann, weil der Wein und das Glücksspiel seine wahren Herren sind. Ich werde bis zu meinem Tod mit dir zusammenleben, Miguel, und ich werde in Krankheit und Not zu dir stehen, und wir werden vor dem Rest der Welt weiterhin wie ein Ehepaar wirken, weil ein Band, das Gott geknüpft hat, nicht vom Menschen gelöst werden kann, aber du hast von nun an – und ich bin eine Frau, die ihr Wort hält – keinen Anspruch mehr auf mich.«
    Durch meine Tränen sah ich sie aus der Kammer gehen und die Tür hinter sich schließen, sodass der Raum in völliger Dunkelheit zurückblieb. Catalina und ich sollten nie mehr im selben Bett schlafen.
    Jetzt hatte ich nur noch meine Träume, und die konnte mir keiner nehmen. Ich würde wie Christoph Kolumbus sein: gleichgültig, wie großartig ich scheiterte, ich wollte nicht und ich konnte nicht aufhören zu träumen. Zu der Zeit hatte ich zum ersten Mal die Idee für einen Roman – keinen Schäfer- oder Ritter- oder Schelmenroman, sondern eine völlig neue Art von Roman, über einen Mann, der in vielerlei Hinsicht wie Alonso Quijana war, wie mein Vater, wie ich: ein Mann, der das Zeitalter verkörperte, in dem ich lebte, jemand wie Kolumbus, ein Mann von bescheidener Herkunft, der es wagte, ein Individuum zu sein in einer Zeit, in der Männer wie er nicht nach Höherem streben durften. Mein Held würde ein Mann sein, der glaubte, er verdiente menschliche Würde ebenso wie jeder beliebige Adelige, ein Mann, der sich von allen unterschied, die ihm vorausgegangen waren, genau wie Kolumbus es getan hatte, wie alle Träumer seit Anbeginn der Zeit. Ein Mann, der es wagte, anders zu sein, der, wie Alonso Quijana, sein Leben außerhalb der von der Gesellschaft geschaffenen beengenden Konventionen führte, der keine Angst davor hatte, als verrückt zu gelten, der die Vorzüge einer neuen Art Edelmann verkörperte, der ebenso Soldat wie Gelehrter war, der wusste, dass die überkommene Beziehung zwischen dem gemeinen Mann und dem Fürsten obsolet war, ein Mann, ein wahrer Edelmann, den das Leiden seiner Mitmenschen berührte, der dazu beitragen wollte, ehrenfeste neue Ideale zu schaffen, der wusste, dass gute Taten und beispielhafte Werke, ein gutes Herz und Gerechtigkeit gegenüber jedermann wichtiger waren als Privilegien und Geburt.
    Mein neuer Held würde den Inbegriff von Castigliones Ideal des Hofmanns darstellen: ein Mann, der sich für fähig erachtete, die Welt zu beherrschen und sein eigenes Schicksal zu schmieden. In vieler Hinsicht war Alonso Quijana diese Art Mann gewesen. Sobald ich seine Bibliothek zum ersten Mal betreten und die leeren Regale betrachtet hatte, die einst von Romanen übergequollen waren, sobald ich mich an seinen Schreibtisch gesetzt und zum Fenster hinaus auf die endlosen Ebenen der Mancha geblickt hatte, hatte ich gewusst, dass ich mich dem Sog Alonsos und der unwirtlichen, wasserarmen Gegend nicht entziehen konnte. Einer Gegend, in der die Felder nicht aus Sanddünen bestanden, wie in der algerischen Wüste, sondern aus Steinen und Felsen, eine Gegend, die eigens gemacht schien, um die Träume von Träumern wie Alonso, wie mir, zu zerstören.
    Während ich an seinem Schreibtisch saß, über Stunden hinweg, die sich zu Tagen ausdehnten, über Tage hinweg, die unweigerlich mit einer Nacht endeten, in der es schien, als würde das Lebenslicht selbst ausgelöscht – da verstand ich, wie verzweifelt Alonso Quijanas Wunsch gewesen sein musste, diesem Ort zu entfliehen, wo niemals etwas passierte, wo die Menschen Angst hatten, sich Flügel wachsen zu lassen und fortzufliegen. Es war, als würde ich anfangen, mich in Alonso Quijana zu verwandeln, sein Doppelgänger zu werden, so wie ich überzeugt war, dass auch ich, in diesem Moment, irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger hatte, und dass ich auch in der Zukunft, in vielen kommenden Jahrhunderten, ein – nein, nicht nur ein, Hunderte Doppelgänger haben würde, die genauso dachten und fühlten und träumten wie ich.
    Drei Jahre Ehe genügten mir. Ich liebte Catalina bis an mein Lebensende, aber vielleicht war mir wie Alonso

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