Die Leidenschaft des Cervantes
eine ganze Weile bei uns bleiben würde, und hatte gehofft, dass er vor seinem Tod noch meinen Erfolg miterleben würde. Ich hatte meine Eltern lange Zeit vernachlässigt, um meinem Traum als Schriftsteller zu folgen – ich hatte sie enttäuscht. Mittlerweile glaubte ich fast, ich würde bei allem, was ich in die Hand nahm, versagen. Als ältester Sohn hätte ich den Beruf meines Vaters ergreifen müssen, um meine ledigen Schwestern von der Mühsal zu entlasten, unsere Eltern zu unterstützen. Die größte Angst meiner Mutter hatte sich bewahrheitet: Ich war ein verantwortungsloser Träumer geworden. Mein Kummer darüber war abgrundtief. Ich hielt es für besser zu sterben, damit Catalina ein neues Leben beginnen konnte. Sie war eine junge, schöne Frau mit Vermögen. Es würde sich bald genug ein würdigerer Mann finden, der um ihre Hand anhielt. Welches Recht hatte ich, auch ihr Leben zu zerstören?
Ich überließ mich den Wegen des Bacchus, trank in der Taverne Don Diego Ramírez’ und missachtete alle Pflichten gegenüber meiner Frau. In der Hoffnung, wenigstens am Kartentisch Erfolg zu haben, wurde ich ein Spieler wie mein Vater. Ich lebte nur noch in den übel beleumundeten Tavernen, wo die arbeitenden Frauen lange blonde Haare und grüne Augen hatten und reinblütige Nachkommen der Westgoten waren.
Eines Morgens erwachte ich mit einem so schweren Kopf, dass ich glaubte, mir würden Nägel in die Schläfen gehämmert, und hörte meine Schwiegermutter im Hof keifen:
»Bist du schon wach, Don Miguel de Cervantes? All unsere Nachbarn sollen erfahren, dass du deine Tage mit Trinken und Spielen verbringst und alles verspielst, was dir zum Verspielen nicht gehört, und dass du den alten Männern in Esquivias Märchen erzählst. Alle sollen wissen, dass du jeden Abend betrunken nach Hause kommst und erwartest, dass das Essen für dich auf dem Tisch steht, und wenn deine Frau mit dir reden will, sagst du: ›Sei still und stör mich nicht, ich verfasse im Kopf gerade ein Sonett für den neuen Schäferroman meines Freundes Don Sowieso.‹
Hört mich an, gute Nachbarn! Ihr alle kennt mich, ihr wisst, ich habe meine Tochter nicht großgezogen, damit sie einen Krüppel versorgt. Ihre Mitgift war vielleicht nicht üppig, aber dieser mottenzerfressene Holzklotz sollte dankbar sein, dass ein so schönes Mädchen aus einer altehrwürdigen Christenfamilie ihn zum Mann genommen hat. Noch vor ein paar Monaten, ehe sie diesen nichtsnutzigen Schreiberling heiratete, war ihre Haut glatt wie ein Spiegel, ihre Augen funkelten vor Freude. Sie war wie eine Rose im Mai, deren jedes Blütenblatt vollkommen ist. Don Miguel, du hast uns alle mit deiner teuflischen Zunge getäuscht. Das ganze Gerede davon, dass La Galatea , der haarsträubendste Schäferroman, der je zu Papier gebracht wurde, zum Lieblingsbuch aller Spanier werden würde, dass mehr Exemplare davon verkauft würden, als jeden Tag in unserem Königreich Eier gebraten werden, dass dein Ruhm so groß würde, dass unser erhabener König Philipp selbst unser Haus besuchen würde. Ha! Eher werde ich Herzogin, als dass du auch nur einen maravedí mit deiner Tintenkleckserei verdienst! Beim nächsten Mal versuch, einen Roman mit deiner linken Hand zu schreiben, vielleicht wird der dann besser.«
Damit, so dachte ich, hätte sie geendet; ich stand auf und griff nach dem Nachttopf, um meine Blase zu erleichtern. Mitten in diesem höchst erquicklichen Vergnügen setzte meine Schwiegermutter wieder an:
»Ich bin noch nicht fertig, du elender Krüppel. Schau dir an, wie sehr ich in dem einen Jahr gealtert bin, seit du meinen Schatz geheiratet hast. Ich gehe umher, als schleppte ich ein bepacktes Kamel auf dem Rücken. Merk dir eins, für den Fall, dass du dir in deinem verfaulten Kopf irgendwelche Hoffnungen machst: Sollte ich heute sterben, würde ich dir nicht einmal ein faules Ei hinterlassen!«
Als ich glaubte, ihr seien die Beleidigungen ausgegangen, fuhr sie fort:
»Gib Acht, Catalina. Und auch ihr, meine guten Nachbarn, gebt Acht: Dieser verkrüppelte Schreiberling wird wie mein Urgroßonkel Alonso Quijada enden, der, wie wir alle wissen, den Verstand verlor, weil er zu viele Ritterromane gelesen hatte.«
Nachdem sie ihre Litanei beendet hatte, wartete ich eine Weile, bevor ich in die Küche ging, um einen Schluck kaltes Wasser zu trinken, meine Kehle war wie ausgedörrt. Catalina knetete gerade Brotteig. Sie senkte den Blick und sagte: »Miguel, das ist mir sehr
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