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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Quijana doch bestimmt, ein Mann ohne Frau zu sein. Drei Jahre hatte ich das Gefühl gehabt, zu einem Leben als Galeerensklave verdammt zu sein. Ich betete darum, meiner Ehe zu entfliehen, mit derselben Verzweiflung, wie ich darum gebetet hatte, aus dem bagnio freizukommen. Es war, als wäre alle schöpferische Kraft, die mein Leben lang in meinen Adern geflossen war, bei meiner Ankunft in Esquivias eingetrocknet.
    Von einem Freund, der auf dem Weg nach Sevilla durch Esquivias kam, hörte ich, dass in meiner geliebten Stadt Stellen als Steuereintreiber der Krone zu besetzen wären. Mein Freund sagte, er kenne dort jemanden, der ihm helfen würde, ein Amt zu bekommen. »Warum kommst du nicht mit?«, fragte er und fügte hinzu: »Ich werde meinen Freund bitten, sich dafür einzusetzen, dass auch du eine Stelle erhältst.«
    Ein weiteres Argument brauchte ich nicht, um nach Sevilla aufzubrechen: Ich war ohnehin dazu bereit. Es kümmerte mich nicht, dass die Arbeit des Steuereintreibers eines der wenigen öffentlichen Ämter war, das damals auch Juden offenstand, und dass ich, wenn ich eine solche Stelle antrat, damit die Unreinheit meines Blutes eingestehen würde. Ich war überzeugt, wenn ich Esquivias nicht auf der Stelle verließ, würde ich wie Alonso Quijana in kürzester Zeit den Verstand verlieren.
    Wieder einmal würde ich ein neues Leben beginnen. Doch trotz meines Alters, meiner Enttäuschungen, meines ständigen Scheiterns blieb ich ein Träumer: Ich hoffte einfach, dass mir bessere Zeiten bevorstanden. Und so floh ich aus Esquivias, verließ meine gute Catalina – keine unerreichbare oder imaginäre Geliebte, sondern meine Frau aus Fleisch und Blut – und das einzige Haus, das ich je das meine genannt hatte.
    Ich überlasse es künftigen Historikern zu berichten, was mir in den nächsten zwanzig Jahren widerfuhr, die vielen weiteren Misslichkeiten in einem Leben, das aus einer Abfolge von Misslichkeiten zu bestehen schien. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass ich über die Straßen ziehen musste, um die restlichen Gestalten kennenzulernen, die Spanien – und folglich die ganze Welt – ausmachen. Ich musste über die Straßen ziehen, um zu lernen, was es für mich über das Wesen des Menschen und das Leben noch zu lernen gab, und über meine wachsende Ernüchterung angesichts der brutalen Zeit, in der zu leben ich verdammt war.
    Oft hatte ich in diesen Jahren den Eindruck, an einem Ort zu sein, der ebenso grausam war und ebenso alle Hoffnung zunichte machte wie Algier, nur die Vorzeichen waren umgekehrt: In Spanien wurden die Moslems so erbärmlich behandelt wie die Christen an der Barbareskenküste, und den Christen war das Leid der Moslems so gleichgültig wie den Türken das der Christen in den Ländern, in denen sie herrschten. Die Grausamkeit, die ich sah, war ebenso groß und seelentötend wie die, die ich im Bagnio Beylic erfahren hatte. Das war das Land, zu dem Spanien in den letzten Jahren des sechzehnten Jahrhunderts nach Christus geworden war, ein Land, das die Schwachen und alle, die sich in Religion, Rasse oder im Denken unterschieden, in Ketten legte und vernichtete.
    Es mag paradox klingen, dass solch großes Verderben befreiend wirken kann, doch allmählich wurde mir klar, dass alles, was mir zugestoßen war – die höchsten und die tiefsten Stunden meines Lebens – in mir den Wunsch genährt hatten, nicht bloß einen weiteren Roman zu schreiben, ein weiteres Buch, das die Bücherregale der Welt füllen würde, sondern ein Buch, das das ganze Leben enthielt, und zwar das richtige Leben, so, wie ich es erfahren hatte.
    Viele Jahre später, als ich ein alter Mann war und der Usurpator Avellaneda seinen oberflächlichen und unwahrhaftigen Don Quijote Teil II geschrieben hatte, diese Aberration eines Romans, diese unverdaute Wiederkäuung der Abenteuer meines Ritters und seines Knappen, diese infame Nachäffung, die aus den niedersten Motiven heraus geschrieben worden war, nämlich, um einen anderen Menschen zu verletzen, den Autor, den Mann, der sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, um seine Figuren in die Welt zu setzen – in dem Augenblick, als ich verzweifelte, weil das Kind meines Geistes mir entwendet und in eine lachhafte Parodie seiner selbst verwandelt worden war, ereignete sich etwas höchst Bemerkenswertes. Eines Morgens im Herbst, noch ehe das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts zu Ende gegangen war, war ich auf dem Weg von Esquivias nach Toledo, wo ich Geschäfte zu

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