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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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kamen. Miguels Mutter war groß und sehr schlank, hatte aber den ausgezehrten Blick einer Asketin. Als junge Frau musste sie hübsch gewesen sein, doch jetzt erinnerte ihr Gesicht an ein Fries aus winzigen Mosaiksteinchen, das eine Landschaft enttäuschter Hoffnungen darstellte.
    Sobald Miguel meinen Namen genannt hatte, wurde sie leicht befangen. »Don Luis Lara«, sagte sie und sprach jede Silbe einzeln aus, als müsste sie sich vergewissern, richtig gehört zu haben. »Willkommen in unserem bescheidenen Heim. Euer Besuch ehrt uns.« Trotz ihres vernachlässigten Äußeren und ihrer schlichten Kleidung hatte Doña Leonor das Gebaren einer gebildeten, kultivierten Frau. Später erfuhr ich, dass sie aus einer alten Landbesitzerfamilie stammte. An Miguel gewandt sagte sie: »Du hättest mir sagen sollen, dass du Don Luis mitbringst, dann hätte ich zumindest eine Erfrischung für ihn vorbereitet.«
    »Das ist meine Schuld, Doña Leonor«, unterbrach ich. »Miguel wusste nicht, dass ich mitkommen würde. Ich habe darauf bestanden, ihn zu begleiten, um mir ein Schulbuch auszuleihen. Entschuldigt meine Aufdringlichkeit.«
    In dem Moment kam ein Junge die Treppe heraufgerannt und schrie: »Miguel, Miguel, Vater braucht dich!«
    »Rodrigo, wo bleiben deine Manieren?«, tadelte Doña Leonor. »Siehst du nicht, dass wir Besuch haben? Don Luis wird denken, bei uns zu Hause würde immer gebrüllt.«
    »Das ist mein kleiner Bruder. Ich bin bald wieder da«, sagte Miguel und folgte Rodrigo nach unten.
    Doña Leonor bestand darauf, mir eine Erfrischung zu bringen. Bevor sie in die Küche zurückkehrte, sagte sie zu Andrea: »Komm, ich lege die Kleine in ihre Krippe. Leiste Don Luis Gesellschaft, solange ich einen Becher Schokolade für ihn mache.«
    Andrea überließ ihr das Kind, das mittlerweile zu weinen aufgehört hatte. Damit blieben wir allein im Salon zurück, saßen einander auf zwei Kissen gegenüber. Sie brach das Schweigen als Erste. »Don Luis, Ihr sollt wissen, dass das kleine Mädchen, das meine Mutter in die Krippe legt, Constanza ist, meine Tochter, obwohl meine Eltern immer sagen, dass es ihr Kind ist.« Sie äußerte diese verblüffende Offenbarung mit einer fast brutalen Nüchternheit.
    Andrea hing das Haar wie eine schwarze Seidenmantilla bis zur Taille hinab. Sie trug ein schlichtes graues Kleid und keinen Schmuck. Ihre Gesichtszüge waren von klassischer Vollkommenheit, ihre Haut makellos. Aus ihren Augen blitzte dieselbe trotzige Herausforderung wie aus denen der Frauen, die die anrüchigen Straßen von Madrid bevölkern und Männer damit auffordern, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Andrea hatte ein Grübchen am Kinn, das wie ein Brunnen war, in den das Verlangen der Männer eintauchte und nie mehr herauskam.
    »Don Luis, es ist nicht meine Schuld, dass Gott mir Schönheit verliehen hat – wenn ich dem, was die Leute über mich sagen, Glauben schenken soll. Schönheit ist für ein Mädchen aus einfacher Familie die einzige Mitgift, die sie hat.« Sie unterbrach sich kurz und verzog das Gesicht. Weil sie nur im Flüsterton sprach, musste ich mich so weit vorbeugen, dass ich ihren Atem an meinen Wimpern spürte. Ihre Nähe verstörte mich. Sie war wirklich außerordentlich schön, doch es war eine Schönheit, die große Bitterkeit barg. Mit beiden Händen strich sie sich das Haar um den Kopf glatt und holte tief und bekümmert Luft. Dann fuhr sie mit einem übertriebenen Lispeln fort, durchbohrte die Luft mit der rosa Spitze ihrer Zunge: »In Sevilla lernte ich einen Jungen kennen, der mein Auge entzückte und den mein Herz zum Gegenstand seiner Liebe erkor. Yessid, so hieß er. Seine Absichten waren ehrbar, meine Liebe zu ihm war, wie wahre Liebe sein muss, ungeteilt und grenzenlos. Er war ein Zimmermann, doch weswegen mein Vater ihn als meinen Ehemann ablehnte, war seine maurische Abstammung. Und das, obwohl Yessids Familie zu unserem Glauben übergetreten und er ein gläubiger Christ war. Trotzdem verbot mir meine Familie, ihn zu sehen. ›Das hat uns gerade noch gefehlt‹, sagte mein Vater, als ich ihm erklärte, dass Yessid um meine Hand anhalten wollte. ›Nach vielen Generationen ist es uns immer noch nicht gelungen, die Reinheit unseres Blutes nachzuweisen. Wenn du einen Mauren heiratest, wird unsere Familie diesen Makel nie ablegen. Lieber sehe ich dich tot. Ich verbiete dir, Yessid jemals wieder alleine zu treffen. Und der junge Mann täte gut daran, sein Gesicht nicht mehr hier blicken zu

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