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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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endlich kam der Moment, der ruhmreiche Tag des 6. Oktober, als wir, erfüllt von flammenden Träumen der Unsterblichkeit, mit zweihundert Galeeren ablegten – dreißigtausend Mann unter dem Kommando Don Juans mit dem Befehl, die Furcht einflößende osmanische Marine zu vernichten.
    Wir segelten bis zur Abenddämmerung unter klarem Himmel, dann war eine mondlose Nacht uns gnädig. In absoluter Dunkelheit schlüpften wir durch die enge und schwer bewachte Einfahrt zum Golf von Korinth, an deren östlichem Ende die türkische Flotte uns erwartete.
    Als ich am 7. Oktober aufwachte, war ich fiebrig und musste mich immer wieder übergeben. Deshalb wurde mir befohlen, während der Schlacht unter Deck zu bleiben. »Euer Gnaden«, sagte ich zu Kapitän Murena, »ich habe mich den Truppen des Königs angeschlossen, um meine Pflicht zu erfüllen. Ich würde lieber für Gott und Spanien sterben, als die Schlacht kampflos zu überleben.«
    Stirnrunzelnd sagte der Kapitän: »Wie Ihr wollt, Cervantes. Aber ich werde Euch an der Barke stationieren, und diesen Posten werdet Ihr nicht verlassen.« Dann fügte er hinzu: »Ihr müsst ein großer Narr sein. Die meisten Männer in Eurem Zustand würden sich freuen, nicht kämpfen zu müssen. Gott ist mit den Narren und Verrückten. Möge Er Euch segnen.«
    An der südöstlichen Küste des Golfs, wo die Peloponnesischen Berge aufragen – Zeugen zahlreicher gewaltiger historischer Schlachten –, glaubte ich, die griechischen Helden der Antike zu sehen und zu hören, wie sie uns von den bewaldeten Höhenzügen zujubelten. Die Strömungen trieben unsere Flotte auf die türkischen Schiffe zu, die in einer Linie quer über die Bucht Position bezogen hatten. In der Morgendämmerung offenbarten sich die dreieckigen, mit dem Mondstern geschmückten roten Fahnen des Feindes; wie eine vom Luftstrom getragene Welle leuchtender Farbe sahen sie aus. Im Zentrum der Formation war die gewaltige Galeone des Oberbefehlshabers Ali Pascha auszumachen. An ihrem Mast war eine riesige grüne Fahne aufgezogen, auf die in Gold Allahs Name angeblich neunundzwanzigtausend Male gestickt war. Die Furcht erregenden Gesänge der Türken und der prachtvolle Anblick der gleißenden Segel verliehen der Schlachtkulisse eine majestätische Größe. Die osmanischen Kriegsrufe erschollen wie aus einer einzigen Kehle, der Kehle eines Drachen, der uns mit roten Augen aus den Wolken anstarrte.
    Stundenlang lagen beide Flotten wie erstarrt auf dem Meer. Die Mittagssonne brannte auf uns herab, als wir den Befehl erhielten, uns für die Schlacht bereit zu machen. Die schnelle Strömung des grünen Wassers trieb uns in Richtung des Feindes, und da erkannten wir Don Juans Strategie: Wir würden den Gegner nicht frontal angreifen. Vielmehr teilte sich unsere Flotte in zwei Flügel, um in der Mitte eine Linie von Schiffen mit unseren gewaltigsten Kanonen zu offenbaren, die auf die Türken ausgerichtet waren. Die beiden Flügel hielten sich nah an der Küste der Bucht. Rodrigo und ich waren in der nördlichen Formation, allerdings auf verschiedenen Schiffen. Meine Übelkeit war verflogen.
    Die Türken feuerten als Erste, erzeugten eine heranwalzende Flammenmauer der Zerstörung, auf die ein Donnern folgte, als würde der Himmel einstürzen. Mein Herzschlag setzte aus, bis die Kanonen unserer Galeonen krachend das Feuer erwiderten, sie zielten auf Ali Paschas Schiff. Das war das Zeichen für unsere beiden Flügel, frontal auf die türkischen Schiffe zuzuhalten, und wir machten uns bereit, die feindliche Flotte zu rammen, auf die die Kugeln unserer Artillerie niederregneten. Von allen türkischen Waffen fürchteten wir am meisten das griechische Feuer. Wurde ein Schiff davon getroffen, war der Brand nicht mehr zu löschen, selbst Unmengen von Wasser und Sand konnten die wütenden Flammen nicht mehr ersticken.
    Als die beiden Flotten sich in fast unmittelbarer Nähe gegenüberstanden und die Arkebusen und Kanonen auf beiden Seiten unablässig Salven herabregnen ließen, wurden Christen und Türken gleichermaßen von einer sengenden Rauchwolke verschlungen. Eine Macht, die mein Verständnis überstieg, überkam mich: Ich war nicht mehr ich selbst, nicht mehr nur ein Körper, sondern Teil einer weit größeren Einheit – eines Reichs, einer Religion, einer Lebensweise, ein Soldat im Heer des wahren Gottes. Ich wurde Tausende von Soldaten, unverwundbar, groß und erschreckend wie ein Zyklop.
    Es wurde der Befehl gegeben, die

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