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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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osmanischen Schiffe zu entern und den Feind im Kampf Mann gegen Mann zu stellen. Streitäxte wurden geschwungen. In den nächsten Stunden wurde ich immer wieder von abgetrennten Fingern, Händen, Armen, Füßen und Köpfen getroffen und durchnässt von den Blutströmen, die aus verstümmelten, kopflosen Leibern schossen.
    Sobald ich zu kämpfen begann, fiel die Angst von mir ab. Wenn ein Mann starb, kam ein anderer an seine Stelle, und wenn dieser andere verwundet zu Boden sank, wurde er von einem Unverletzten ersetzt. Eine unendliche Reserve von Soldaten rückte stetig nach, eine blutrünstige Horde, die auf Spanisch, Italienisch, Türkisch und Arabisch Schlachtrufe, Beleidigungen, Gebete und Flüche ausstieß.
    Ich hatte viele Türken umgebracht, als ein Schuss meine linke Hand zerfetzte, nur die blanken Knochen ragten noch aus dem Gelenk. Zuerst spürte ich keinen Schmerz und kämpfte weiter, tötete und wehrte mich mit meinem gesunden Arm, bis ich, von einem Schlag in die Brust getroffen, rückwärts taumelte: Eine Arkebuse hatte in meinen Rumpf ein Loch gerissen. Ich presste die Faust hinein, um den Blutstrom zu stillen, da traf mich wenige Zoll von meiner Faust entfernt ein weiterer ohrenbetäubender Schuss. Meine Brust war schwer von dem Pulver und dem Eisen, die in sie eingedrungen waren; wie betrunken taumelte ich umher, atmete den Geruch meines verbrannten Fleisches und versuchte, mich an etwas festzuhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und auf dem Deck zusammenzubrechen, denn dann würde ich zweifelsohne zu Tode getrampelt werden.
    Während um mich her Männer verwundet und getötet wurden, während Schiffe Feuer fingen und mit lautem Ächzen untergingen, während erstickende schwarze Rauchwolken uns einhüllten, schlug ich weiter mit meinem Schwert gegen alles aus, was sich bewegte. Trotz meines geschwächten Zustands war ich entschlossen, bis zum Moment meines Todes jeden Ungläubigen zu bezwingen, der sich mir in den Weg stellte.
    Wo war mein Bruder? Ich betete, dass er verschont würde, betete, dass, wenn er tödlich verletzt war und grausame Schmerzen litt, eine mitleidige Seele sich seiner erbarmen und seinem Leid ein schnelles Ende bereiten würde. Ich betete, dass unsere Eltern nicht an einem Tag beide Söhne verloren.
    Ich glaubte zu träumen, als ich auf Spanisch und Italienisch die ersten »Sieg! Sieg!«-Rufe hörte. Der Ausgang der Schlacht war besiegelt worden, als die Ruderer der Türken – christliche und griechische Sklaven, die man von ihren Ketten befreit hatte, damit sie während der Schlacht besser manövrieren konnten – von den osmanischen Schiffen sprangen und zur Küste schwammen, um im dichten Wald auf den Abhängen zu verschwinden. Bei Sonnenuntergang stand fest, dass wir eine große Anzahl von Türken getötet hatten, dass unsere Verluste geringer waren, dass wir gesiegt hatten, dass wir die bislang unbezwingbare osmanische Flotte geschlagen hatten. Unsere Männer jubelten, als die Überreste dieser Flotte mit ihrem Befehlshaber an Bord aus dem Golf von Korinth flüchteten.
    Stundenlang, so kam es mir vor, lag ich, halb hinter leeren Fässern und Leichen versteckt, in einer Ecke der Marquesa . Mein brennender Wunsch, nicht in so weiter Ferne von Spanien zu sterben, hielt mich am Leben. Der Befehl, die Türken nicht zu verfolgen, drang zu mir vor. Unsere Männer hielten mit dem Töten inne, die Welt verstummte. Die glorreiche Schlacht von Lepanto war geschlagen – ich war Teil der Geschichte geworden.
    Unser Schiff fing Feuer und begann rasch zu sinken. Mit letzter Willenskraft kroch ich über das blutverkrustete Deck und hievte mich über Bord. Im Meer trieben so viele Leichen, dass Soldaten sie als Brücke nutzten, um von einem Schiff zum nächsten zu gehen. Die Männer, die vom griechischen Feuer getroffen worden waren, schwammen wie menschliche Fackeln im Meer und erhellten die Bucht. Ich trieb zu einem Floß, auf dem Tote und Sterbende aufgehäuft waren, Moslems und Christen. Im Tod sahen sie aus wie jämmerlich kaputte Marionetten, alle aus demselben Material. Mit meiner guten Hand hielt ich mich an einer Ecke des Floßes fest. Eine in Flammen stehende Hand schoss aus dem Meer empor, als wollte sie mich am Hals packen und mich in die Unterwelt ziehen. Ich schrie, mein ganzer Körper zuckte im Wasser.
    Die See leuchtete rot von Flammen, die sich in Wellen über das aufgewühlte Wasser ausbreiteten. Der Gestank von brennendem Holz, Schießpulver und vor allem von

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