Die Leidenschaft des Cervantes
Die Menschen des Mittelmeerraums betrachteten Lepanto zunehmend als Niederlage, jede Erwähnung des Namens wurde mit Hohn quittiert.
Angesichts der Umstände fragte ich mich, ob es wohl zu spät war, von der spanischen Krone eine Entschädigung für meine Verletzungen zu erhalten. Meine einzige Hoffnung ruhte auf zwei Briefen, die ich bekommen hatte, der eine unterzeichnet von Don Juan de Austria, der andere vom Herzog von Sessa. Die Briefe empfahlen mich seiner Katholischen Majestät für eine Pension aufgrund meiner Heldenhaftigkeit in der Schlacht. Don Juans Brief legte König Felipe zudem ans Herz, mir einen Lohn für weitere Dienste an der Krone bei den Feldzügen von Korfu und Modón zu gewähren sowie eine vollständige Begnadigung für die Verletzung Antonio de Siguras.
Aber aufgrund der langsam mahlenden Mühlen der spanischen Justiz konnten Jahre vergehen, ehe meine Sache vor Gericht käme, und noch mehr Jahre, bis mir eine Pension tatsächlich bewilligt würde. Wovon sollte ich in der Zwischenzeit leben? Undenkbar zu hoffen, meine verarmte Familie könnte mich ernähren. Durch meinen nutzlosen Arm konnte ich meinem Vater mit seinen Patienten kaum helfen. Welches Gewerbe verlangte nicht den Einsatz zweier Hände? Könnte möglicherweise die Erfahrung, die ich als Kardinal Acquavivas spanischer Sekretär in Rom gemacht hatte, mir helfen, eine Anstellung als Kopist von Dokumenten zu finden? Als Soldat hatte ich es zwar nicht zu Reichtümern gebracht, aber vielleicht war es noch nicht zu spät, um mir als Dichter einen Namen zu machen. Ein Funke Zuversicht glomm noch in meinem Herzen. Ich klammerte mich an den Gedanken, dass ich meiner Familie als Dichter noch Stolz bereiten könnte. Der naive junge Mann, der mit den Zigeunern auf italienischem Boden gelandet war, würde sich in dem Mann, der arm und verkrüppelt nach Spanien zurückkehrte, kaum wiedererkennen. Eines allerdings hatte sich nicht geändert: meine Überzeugung, dass mir Großes bestimmt war.
In der ersten Nacht auf See, während El Sol auf das spanische Festland zusteuerte, war die Luft so mild, der Himmel so klar und von funkelnden Sternen übersät, dass ich beschloss, an Deck zu schlafen, nachdem sich die anderen Passagiere in ihre Kojen unter Deck zurückgezogen hatten. Während ich mit einer Pfeife im Mund auf den Bohlen von El Sol lag, den Kopf auf eine zusammengerollte Leine gelegt, fragte ich mich, welche Richtung mein Leben wohl genommen hätte, wenn ich damals nach Westindien gefahren wäre. Je mehr sich El Sol der katalanischen Küste näherte, desto öfter dachte ich an Mercedes. Würde ich sie wiedersehen? Ich hatte ihr im Lauf der Jahre viele Briefe geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten. Sicher, meine Liebe zu ihr hatte mit der Zeit an Ungestüm verloren, doch die Erinnerung an sie war für mich immer noch eine kostbare Oase in meiner Vergangenheit, in der Zeit meines Lebens, bevor sich Schicksalsschlag an Schicksalsschlag reihte.
Vier Tage und drei Nächte später konnten wir die verschneiten Gipfel der Sierra Nevada de Granada ausmachen und schöpften Hoffnung, wir würden spanischen Boden ohne Zwischenfall erreichen. Nach einem Tag auf kabbeliger See ging der Mond über einem ruhigen Meer auf, die von Afrika kommenden Winde waren günstig. Kapitän Arana gab den Befehl, die Ruder festzulaschen und uns vom Luftstrom nach Hause treiben zu lassen. Das Mondlicht erhellte das Meer ringsumher. Die Passagiere an Bord der Sol erfreuten sich der lauen Brise und der glitzernden Sterne, die Matrosen saßen an Deck und spielten Karten. Rodrigo vertrieb sich und den weiblichen Passagieren die Zeit, indem er zur Begleitung der vihuela spanische Lieder sang. Aber das Unglück schlägt mit Vorliebe dann zu, wenn sich die Welt von ihrer freundlichen, einladenden Seite zeigt.
Plötzlich, als würden sie aus den Tiefen von Poseidons Reich auftauchen, näherten sich uns drei große Schiffe mit rasender Geschwindigkeit, und noch ehe unsere Ruderer ihre Plätze einnehmen, die restliche Besatzung die Kanonen bemannen und der Kapitän den Befehl geben konnte, die Segel zu setzen, kam das größte der ominösen Schiffe El Sol so nahe, dass wir die Fragen hören konnten, die die Männer uns in einer merkwürdigen Sprache zuriefen, die ich als die lingua franca Nordafrikas erkannte.
Kapitän Arana schrie: »Algerische Korsaren! Antwortet ihnen nicht!«
Das waren die berüchtigten Seeräuber im Dienst Hassan Paschas, des Herrschers von Algier,
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