Die Leidenschaft des Cervantes
ich die Kirchen, Kapellen, Heiligtümer und Basiliken in Rom besuchte, wenn ich die Statuen und die Gemälde an den Wänden studierte, die Fresken an den Decken, die kunstvolle Goldarbeit der Altäre und Kuppeln, fühlte ich mich unentwegt berauscht.
Entschlossen wie ich war, wenigstens einmal in meinem Leben etwas mit Erfolg zu tun, stürzte ich mich mit Eifer in die Arbeit für den Kardinal. Meine Eltern hatten große Opfer gebracht, um mich auf das Estudio de la Villa zu schicken, und ich hatte sie enttäuscht. In meinen Briefen an sie schilderte ich ausführlich die Aufgaben, die ich im Haus des bedeutenden Mannes erfüllte (und übertrieb ihre Wichtigkeit), sowie die einflussreichen Menschen, die zu Besuch in seine Residenz kamen. Ich schrieb meinen Eltern, Papst Pius V. habe mich gesegnet, verschwieg allerdings, dass er von seinem Balkon aus gleichzeitig Tausende anderer Gläubiger gesegnet hatte. Ich hoffte, derlei Berichte würden die Schmach verringern, die ich meinen Eltern bereitet hatte, und sie mit Stolz erfüllen.
Und doch war ich unruhig. Rom war die politische Hauptstadt der Welt. Die dickärschigen Prälaten, die ihre jungen Akolythen offenbar ebenso liebten wie ihr Leben im Überfluss, sprachen mehr über politische Ränkespiele in den Reihen der Kirche als über Gott. Mir wurde klar, dass ich in dieser Gesellschaft von Spionen und Intriganten keinen Platz finden wollte. Mein Wesen war nicht untertänig genug, um in den Palästen von Männern leben zu können, die sich nach Macht verzehrten, auch wenn es sich bei ihnen um sogenannte Gottesmänner handelte. Die Welt des Vatikans war nicht diejenige, in der ich es zu Großem bringen wollte. Wenn ich mich von diesem genusssüchtigen Leben verführen ließe, liefe ich Gefahr, ein verlogener, aufgeblasener Poet zu werden.
Papst Pius V. besaß mehr Macht und gebot mehr Ehrfurcht als viele einflussreiche Könige und Kaiser. Da Selim II., der Sohn und Mörder Sultan Süleymans des Prächtigen, ermutigt von den kürzlich erfolgten osmanischen Eroberungen im Mittelmeerraum, im nahe gelegenen Griechenland massiv Truppen zusammenzog, gründete der Papst eine Heilige Liga mit dem Ziel, einen neuen Kreuzzug gegen die Türken zu unternehmen. In Rom hieß es, die unbezwingliche türkische Marine bereite einen Überfall auf Italien vor, um das Christentum auszulöschen und die Christen zu versklaven. Und wenn die Osmanen dann Italien erobert haben würden, wollten sie im Namen des Islam zumindest Andalusien zurückgewinnen, wenn nicht gar ganz Spanien.
Selim II. war der Sohn Süleymans des Prächtigen und der freigesetzten Sklavin Roxelana; er wurde allgemein »der Trunkenbold« genannt, weil er in ewiger trunkener Ausschweifung lebte. Fragen der Staatsführung interessierten ihn nicht, er verlangte von seiner Marine nur unentwegt Geld, um sein Leben in aller Pracht und Herrlichkeit und Zügellosigkeit zu finanzieren. Deswegen hatte er algerischen Korsaren genehmigt, die Völker des Mittelmeerraums zu überfallen und auszurauben. Doch sein Großwesir, der serbische Renegat Mehmed Sokollu, war besessen von dem Gedanken, die Grenzen des Osmanischen Reiches auszudehnen. Er trachtete danach, zunächst die Herrschaft über alle Mittelmeerländer und dann über ganz Europa zu erringen. Die türkische Eroberung des Jemen und Hedschas’ sowie auch – als Krönung des Ganzen – von Zypern hatte Sokollu in seiner Fantasie beflügelt.
Die Vorstellung, dass Selim II. und sein Großwesir die christlichen Völker unterwerfen, die osmanischen Harems mit unseren Frauen auffüllen und unsere Kinder den türkischen Sodomiten verkaufen sollten, war für mich nicht hinnehmbar. Ich war bereit, mein Leben zu geben, um eine solche Ungeheuerlichkeit zu verhindern. Und die Entscheidung Felipes II., Don Juan de Austria zum Oberbefehlshaber der spanischen Armada zu ernennen, genügte, um endgültig einen Entschluss zu fassen. Der junge Ritter und ich waren im selben Jahr geboren, doch verehrte ich ihn beileibe nicht als Einziger. Auch wenn er ein illegitimer Sohn Carlos V. war, liebte das spanische Volk ihn mehr als König Felipe II., der sich am Hof, in der Gesellschaft seiner Mätressen, wohler fühlte als auf dem Schlachtfeld. Don Juans Einsatz gegen den Aufstand der Mauren in Andalusien, den er schließlich niederschlug, verschaffte ihm Anerkennung als Soldat und als Befehlshaber. Darüber hinaus machte er sich einen Namen als Taktiker auf See, denn er griff die
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