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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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mit einem Fußtritt ins Meer und befahl seinen Leuten: »Holt alle Truhen aus den Kabinen. Wenn nötig, sprengt die Türen auf.«
    Freibeuter verlangten von uns alle Münzen, Juwelen und Wertgegenstände, die wir am Leib trugen, und stopften sie in große derbe Beutel. Ohne ein Widerwort leisteten wir Gehorsam. Die kostbaren Briefe von Don Juan de Austria und dem Herzog von Sessa bewahrte ich in einem Lederbeutel unter meinem Hemd auf, von ihnen hing meine weiteres Schicksal ab. Uns wurde befohlen, uns auszuziehen. Möglichst unauffällig nahm ich die Briefe aus dem Beutel, ballte sie in der Hand zusammen und wollte sie gerade zwischen meine Gesäßbacken klemmen, als ein Korsar mir den Griff seines Dolchs über den Kopf zog und mich anherrschte: »Gib das sofort her, sonst bring ich dich um wie einen Hund.«
    Die kleine Auseinandersetzung erregte Arnaut Mamís Aufmerksamkeit, er verlangte nach den Briefen und inspizierte das zerknüllte Papier. Offenbar konnte er unsere Sprache verunstalten, aber nicht lesen. »Yussif, was steht in diesen Briefen?«, fragte er. Ein Korsar, der dem Aussehen nach ein Spanier sein mochte, der vor langer Zeit erbeutet worden und zum Islam konvertiert war, übersetzte den Inhalt der Schreiben. Mamí hatte gelernt, den Geldwert von Menschen einzuschätzen, und so bemerkte er sofort meinen unbrauchbaren Arm. »Zeig mir den anderen«, forderte er. Ich streckte die rechte Hand aus. Mamís mit Ringen geschmückter Zeigefinger tastete meine Handfläche ab. »Du hast die Hand einer Frau«, höhnte er und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Du musst ein bedeutender Mann sein oder ein hochrangiger Adeliger. Das beweisen die Briefe.« Dann sagte er zu seinen Leuten auf Spanisch: »Wenn einer von euch diesem Mann etwas antut« – er hielt seine rechte Hand hoch, um aus zwei mit langen Nägeln bewehrten Fingern ein V zu formen –, »dem steche ich die Augen aus. Verstanden?«
    Mittlerweile kehrten andere Korsaren, schwere Truhen schleppend, an Deck zurück. Sie warteten auf Mamís Befehl. Mit einer schweren Axt zerschlug er das Schloss der ersten Truhe und durchwühlte ihren Inhalt, gluckste vor abstoßendem Vergnügen über seine reiche Beute. Ein paar Münzen und Ringe fischte er heraus und warf sie seinen Männern zu, die sich darum rauften wie verhungernde Geier um Aas. Dann reichte er die Axt einem anderen Mann und bedeutete ihm, die Schlösser der übrigen Truhen aufzubrechen.
    Uns wurde befohlen, absolut stillzuhalten, sonst würde uns der Kopf abgeschlagen. Schweigend verfolgten wir, wie die Beute inventarisiert und auf Mamís Schiff verfrachtet wurde. Daraufhin wurden wir in drei Gruppen aufgeteilt: Die Frauen und Kinder kamen auf Mamís Schiff. Die Männer, die wie einfache Arbeiter aussahen und folglich keine wohlhabende Familie hatten, die sie auslösen könnten, wurden auf ein anderes Schiff gebracht. Diese Unglückseligen würden als Rudersklaven eingesetzt, was einem Todesurteil gleichkam. Die restlichen Gefangenen – diejenigen, die wie Geistliche oder Edelleute gekleidet waren oder sich als solche gebarten – kamen auf das dritte Schiff.
    Zu meiner großen Erleichterung entschied Mamí, dass Rodrigo als mein Bruder ebenfalls von Wert war, und teilte ihn zusammen mit mir der dritten Gruppe zu. Sobald wir El Sol verlassen hatten, demontierten die Korsaren alles, was sich zu Geld machen ließ. Derjenige, der das Schiff als Letzter verließ, goss Pech über das Deck und steckte es in Brand. Während El Sol inmitten von Flammen und Rauch unterging, sank auch meine Hoffnung. Und noch während das Schiff im Wasser versank, brannte das griechische Feuer an Deck weiter und ließ den Tauchgang der Sol auf den Meeresgrund erstrahlen.
    Wir wurden in einen kleinen Stauraum unter Deck gepresst, vor dem Mittelschiff, wo die Ruderer waren. Zu beiden Seiten des Schiffes saßen sie auf Holzplanken, vier Mann pro Ruder, Hand- und Fußgelenke mit Eisenketten gefesselt, die durch Haken an den Seiten der Galeone entlangliefen. Die Ruderer sprachen Spanisch und andere europäische Sprachen und waren nackt bis auf einen Stofffetzen um die Leibesmitte. Der Rücken vieler Männer sah aus wie grau-violett verfärbtes, rohes Fleisch, in dem es von grünen Maden wimmelte; an dem Eiter, der aus den Wunden austrat, taten sich Fliegenschwärme gütlich. Wir gewöhnten uns rasch daran, nicht zu tief einzuatmen oder den Mund unnötig zu öffnen aus Angst, die summenden, glänzenden Schmeißfliegen zu

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