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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Salven auf das Meer, das hinter ihnen lag; zur Antwort ertönte hinter den Stadtmauern ein ohrenbetäubendes Grollen.
    Sobald die Schiffe vertäut waren, wurden wir an Deck getrieben. Schweigen breitete sich über uns aus. Ich hatte so lange in einer hockenden Position verharrt, dass ich nur mit gebeugten Knien gehen konnte, die wild pochten, als wären Nägel in meine Kniescheiben geschlagen. Doch die frische Luft und die brennende Sonne Afrikas auf meiner feuchten, modrigen Haut waren belebend.
    Unsere Frauen und Kinder waren bereits an Land gegangen und standen auf dem Kai. Ihre Ehemänner und Väter seufzten vor Erleichterung, sie in Begleitung ihrer Zofen und Anstandsdamen zu sehen. Die Frauen standen im Kreis zusammen, umklammerten betend ihre Rosenkränze und schauten voll Sehnsucht zu ihren Männern, ehe sie flehentlich zum Himmel blickten. Die Mütter legten die Arme um ihre Kinder und wiegten ihre Neugeborenen. Die jungen Mädchen hatten in der Gefangenschaft Falten bekommen, bei anderen Frauen war das Haar weiß geworden. Sie würden als Hausmädchen oder als Begleiterinnen wohlhabender türkischer oder maurischer Damen dienen müssen. Wir wussten alle, sollte der Herrscher von Algier oder ein anderer Hochwohlgeborener Gefallen an der einen oder anderen finden, würde sie in seinen Harem eingereiht werden. Wie viele von ihnen waren, wie es üblich war, von den Korsaren geschändet worden?
    Arnaut Mamís Männer hatten alle Hände voll zu tun, die Beute von den Schiffen abzuladen, die Segel einzuholen und am Baum zu befestigen. Die Ruder wurden an Deck gebracht und zusammen mit dem Ballast in einem nahe gelegenen Lagerhaus verstaut. In ihrer Ungeduld, an Land zu gehen und ihre Heimatstadt zu betreten, knallten die Bootsmänner mit den Peitschen, um die Männer zur Arbeit anzutreiben. Doch all diese hektische Geschäftigkeit konnte mich nicht von der Tatsache ablenken, dass wir jetzt Gefangene in der Sklavenhauptstadt Nordafrikas waren.
    Wir mussten unsere stinkenden Kleider ausziehen und uns an Deck zusammenkauern. Meine Lumpen klebten wie aussätzige Haut an mir. Die Korsaren hievten eimerweise Wasser aus dem Meer und schütteten es über uns, zwischendurch warfen sie uns schwarze Seifenstücke zu, damit wir den Dreck abwaschen konnten, der uns wie eine trockene, derbe Haut überzog; mit den Fingernägeln mussten wir sie abkratzen. Der Geruch, den unsere grindigen Leiber verströmten, war ekelerregend. Als wir für sauber genug befunden wurden, befahl man uns, Gesicht und Kopf so heftig einzuseifen, bis es schäumte. Mit scharfen, glitzernden Messern rasierten die Korsaren uns daraufhin Gesichts- und Haupthaar. Anschließend wurden wir wieder mit Wasser überschüttet, bis aller Schaum abgespült war. In dem haarlosen, nackten jungen Mann, der neben mir stand, konnte ich Rodrigo kaum als meinen Bruder erkennen. Als die Korsaren mir schließlich Fußfesseln um die Knöchel legten, fühlte ich mich bereits als Sklave.
    Zum ersten Mal seit Tagen wurden Eimer mit Süßwasser und Becher verteilt, dazu luftiges, trockenes algerisches Brot. Endlich hatten unsere Zähne wieder etwas zu beißen. Wir kauten schamlos, prügelten uns um die Krümel. Nie hatten Brot und Wasser besser geschmeckt. Es tat gut, sauber zu sein und einen vollen Magen zu haben. Schweigend saßen Rodrigo und ich nebeneinander. So lange er bei mir war, gab ich die Hoffnung nicht auf. Ich musste stark und tapfer sein, um ihm ein gutes Beispiel zu geben.
    Stundenlang, so schien es, mussten wir in der Sonne ausharren. Unsere Haut trocknete, unser Gesicht bekam Farbe; jetzt sahen wir nicht mehr wächsern aus. Die Sonnenstrahlen machten wieder Menschen aus uns.
    »Jetzt, wo wir manierlich aussehen, können sie uns verkaufen«, sagte ein Mann in meiner Nähe.
    »Meine Kinder, vergesst nicht, wir gehören Gott und keinem Menschen«, mahnte Pater Gabriel, ein junger Priester aus unserer Gruppe. Einer nach dem anderen gingen wir zu ihm und knieten vor ihm nieder. »Geh mit Gott, mein Sohn«, sagte er zu jedem von uns, während er uns mit dem Zeichen des Kreuzes auf der Stirn segnete.
    Die Männer umarmten sich zum Abschied, flüsterten sich ermutigende Worte zu, derweil warteten wir, dass die nächste Tortur begann. Wie mich meine Erfahrung bislang gelehrt hatte, würde es eine Weile dauern, bis Fortuna mir wieder gewogen war, nachdem sie mir einmal den Rücken zugekehrt hatte.
    Uns wurde befohlen, das Schiff zu verlassen, und wir gingen über eine

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