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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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weiblicher Reinheit, für die ich sie gehalten hatte. Es kam mir vor, als wäre innerhalb eines Moments alles, was ich geliebt und an das ich geglaubt hatte, besudelt und verunstaltet worden. In dem Augenblick wollte ich sterben. Ich wäre aus dem Zimmer gestürzt und hätte mich getötet, wenn ich nicht gewusst hätte, dass Selbstmord das schlimmste Vergehen an Gott ist. Ich werde für Diego leben. Ich werde für meinen Sohn leben. Und dann dachte ich: Ich werde nicht ruhen, bis Miguel de Cervantes tot ist.
    Mercedes hatte noch mehr zu sagen. »Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich mich gegen meine Gefühle für ihn wehrte.« Sie schüttelte heftig den Kopf und schluchzte scharf auf, wie ein verwundetes Tier, was mich schaudern machte. »Aber meine Leidenschaft war stärker als ich. Ich habe Miguel all die Jahre geliebt und werde ihn immer lieben.« In ihrem Blick lag Hass, und mir wurde schwach, als ich merkte, dass der Hass mir galt. »Luis, ich habe dich geheiratet, weil ich dir glaubte, als du uns damals am Esstisch sagtest, dass Miguel in der Schlacht gefallen sei.« Sie hielt inne. Im Raum herrschte absolute Stille, doch in meinem Kopf schrie ein Chor von Stimmen durcheinander. Ihre Stimme stieg zu einem Crescendo empor. »Warum hast du mich angelogen? Hättest du nicht gelogen, dann hätte ich Miguel mit den Jahren vielleicht vergessen und dich als Ehemann lieben gelernt. Jetzt kann ich dir diese Lüge nie verzeihen, Luis. Nie, nie!«
    »Ich habe es getan, weil ich dich liebe«, stieß ich jämmerlich hervor. Ich konnte nicht glauben, dass meine Mercedes mich wirklich demütigen wollte. »Ich habe es getan, weil ich dich nicht verlieren wollte. Ich wollte nicht, dass du von einem Mann entehrt wirst, der deiner nicht würdig ist.«
    Die entsetzlichen Worte, die sie daraufhin sagte, wuchern seit jenem Abend in meinem Kopf und in meinem Herzen: »Erinnerst du dich an die Szene in meiner Schlafkammer, als Miguel mir seine Liebe gestand und ich ihn abwies? Das haben wir inszeniert, damit du uns nicht mehr verdächtigst und wir uns weiterhin sehen konnten. Es ist mir schwergefallen, nicht zu lachen, weil ich wusste, dass du hinter dem Vorhang stehst. Aber ich wollte dir nicht weh tun. Ich konnte einfach nicht ohne Miguels Zärtlichkeiten leben.«
    Bei der Art, wie sie »wir« sagte, hatte ich das Gefühl, als hätte sie mich in hundert Stücke geschnitten und sie mit Salz bestreut. »Basta!«, brüllte ich, sprang von meinem Stuhl auf und stürzte zum Raum hinaus, ehe ich sie erwürgt hätte. In dem Augenblick verschwand der Friede, in dem ich das Gros meiner Tage verbracht hatte, und kehrte nie wieder.
    Einem echten Kastilier geht nichts über seine Ehre. Meine Ehre, mein Nachname, mein Blut waren eins. Mercedes’ ehrloses Verhalten entehrte meine Familie und mich. Und ein Mann wählte lieber den Tod, als seiner Ehre beraubt zu werden. Wenn Mercedes’ Ruf in meinen Augen beschmutzt war, war mein ganzes Leben eine Täuschung. Trotzdem wollte ich etwas Gutes an meiner Gemahlin finden. Wie war es möglich, dass ich mich derart in ihr getäuscht hatte? Wenn die Frau, die ich seit meiner Kindheit zu kennen glaubte, eine völlige Fremde war, wenn ich mich in Mercedes getäuscht hatte, woran konnte ich dann noch glauben? Wenn ich so blind gegenüber ihrer wahren Natur gewesen war – wie unaufmerksam war ich dann durchs Leben gegangen? Wenn ich nicht die Wahrheit von der Lüge unterscheiden konnte, wer war ich dann? Hatte ich an ihrer Unaufrichtigkeit mitgewirkt? Wenn sie niederträchtig war, war ich vielleicht nicht ganz unschuldig daran. Wenn die Nähe zu Miguel sie verdorben hatte, war dann meine Schuld nicht ebenso groß, weil ich ihn in ihr Leben gebracht hatte?
    Meine Gemahlin, die einzige Frau, die ich geliebt hatte, die ich unserer freudlosen Ehe zum Trotz weiterhin geliebt hatte, die Frau, die mein Paradies auf Erden gewesen war, die Mutter meines einzigen Sohnes, war binnen eines Moments zu meiner Peinigerin geworden. Und ich, der ich mich für einen der glücklichsten Männer gehalten hatte, weil ich im Gegensatz zu vielen anderen, von denen ich gehört hatte, meine Gattin nicht in ein von Eisengittern gesichertes Haus stecken musste, um ihre Keuschheit zu gewährleisten – ich wusste jetzt, dass ich Mercedes nie wieder vertrauen konnte. Ohne Vertrauen gab es keine wahre Liebe. Und ich, der ich mir erträumt hatte, dass unsere Ehe die vollkommene Verbindung zweier Seelen sein würde, zweier Menschen, die

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