Die Leidenschaft des Cervantes
meine Brüder in Algier festgehalten werden …
Obwohl bei der Erinnerung an Andrea Abscheu in mir aufstieg, beschloss ich nach langen Erörterungen mit mir selbst, Miguels Schwester noch am selben Nachmittag aufzusuchen. Ihr Haus lag in der respektierlichen Nachbarschaft des Klosters der Descalzas Reales , in einer engen Gasse, die für Kutschen nicht passierbar war. Ich stieg aus und sagte meinen Dienern, sie sollten nicht auf mich warten. Die Kirchenglocken hatten gerade viermal geschlagen. Ich wollte den Besuch kurz halten, damit ich noch bei Tageslicht zu Fuß nach Hause gehen konnte.
Ungesunde Neugier war immer schon eine meiner größten Schwächen. Ich wusste, dass es besser war, schlafende Hunde nicht zu wecken, dass giftige, angriffslustige Skorpione unter den Steinen hervorkrochen, wenn man in den Überresten der Vergangenheit stocherte. Und doch wollte ich aus Andrea Cervantes’ eigenem Mund von dem elenden Leben hören, das Miguel als Sklave in Algier führte. Ich stand vor der Haustür, den Klopfer in der Hand, als sie sich plötzlich öffnete und Andrea Cervantes selbst mich mit den Worten begrüßte: »Don Luis, verzeiht mein Aussehen, ich habe nicht damit gerechnet, Euch so bald zu sehen.« Ihr Atem ging schnell, ihre Worte überschlugen sich. »Ich schaute zufällig zum Fenster hinaus«, sie deutete auf das Fenster im ersten Geschoss ihres Hauses, »als ich Euch sah. Danke, Euer Gnaden, dass Ihr so schnell gekommen seid. Gott hat meine Gebete erhört. Bitte kommt herein.« Sie trat zur Seite.
Sie trug ein schwarzes Hauskleid, das ihren Hals und ihre Arme nicht bedeckte. Nervös strich sie sich das blauschwarze Haar zurück. Seit ich Andrea das letzte Mal gesehen hatte, war sie älter geworden, hatte an Reiz jedoch noch gewonnen. Das funkelnde Schwarz ihrer Augen erinnerte mich an Miguel – sie hatte die lächelnden andalusischen Augen der ganzen Cervantes-Sippe.
Andrea führte mich die Treppe hinauf in ein Wohnzimmer im maurischen Stil. Sie deutete auf einen niedrigen Diwan und bot mir ein Glas Sherry an. »Nein danke. Ich fürchte, ich kann nicht lange bleiben«, sagte ich. »Meine Frau erwartet mich.«
Sie nickte verständnisvoll und setzte sich mir gegenüber auf ein großes blutrotes Kissen. Sie trug schwarze, rotbestickte Satinpantoffeln. Ihre Füße waren winzig, gerade so groß wie meine Hand. Vom Innenhof trieben das Gelächter eines Mädchens und die Stimme einer älteren Frau herüber.
Andrea sagte: »Das ist meine Tochter, sie spielt mit dem Mädchen im Garten. Als Don Luis sie das letzte Mal sah, war sie noch ein Wickelkind.«
Hitze breitete sich über mein Gesicht, ich drückte mich in den Diwan.
»Don Luis, ich komme gleich zur Sache«, sagte sie. Sie bemerkte mein Unbehagen. »Es bricht mir das Herz zu sehen, wie sehr meine arme Mutter leidet. Wir haben nicht die Mittel, um das Lösegeld für meine Brüder zu bezahlen. Die Mönche der Trinitarier, die in der Hafenstadt der Mauren und Götzenanbeter die Freilassung von Gefangenen aushandeln, haben uns mitgeteilt, dass sie nicht genügend Geld haben, um meine beiden Brüder freizukaufen, obwohl die Summe, die für Rodrigo gefordert wird, viel geringer ist als die für Miguel. Vielleicht habt Ihr gehört, dass Miguel beim Kampf gegen die Türken den Gebrauch seiner linken Hand eingebüßt hat. Muss er für immer in Algier bleiben, kommt das einer Todesstrafe gleich. Ihr wart Miguels bester Freund.« Tränen traten ihr in die Augen.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Andrea fuhr fort: »Wie Ihr wisst, hat der König einen Fonds eingerichtet, aus dem bedürftige Witwen guter Familien sich Geld leihen können. Womöglich ist Don Luis nicht bekannt, dass meine Mutter aus einer Landbesitzerfamilie stammt. Sie kann den Weinberg, den ihre Eltern ihr hinterließen, als Garantie einsetzen, dass sie die Schulden und die Zinsen zurückbezahlt. Sie möchte genügend Geld borgen, um eine Lizenz zu erwerben und damit spanische Waren nach Algier zu exportieren. Wenn alles gut geht, sollte sie genügend Geld sparen können, um die Schulden innerhalb von zwei Jahren zurückzuzahlen.«
Es war mir neu, dass Doña Leonor Witwe geworden war. »Es tut mir sehr leid, vom Tod Eures Vaters zu hören, Señora Andrea. Das wusste ich nicht.«
Sie bekreuzigte sich. »Dem Himmel sei Dank, Don Luis, mein Vater ist noch bei uns. Aber wir kennen Leute, die gegen eine gewisse Summe die notwendigen Dokumente erstellen, nach denen mein Vater verschieden
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