Die Leidenschaft des Cervantes
würde die Liebe unseres Erlösers erst erfahren, wenn Seine liebende Glückseligkeit meine Sünden fortwusch und ich mich gereinigt fühlte. Das würde das Zeichen sein, dass Er mir vergeben hatte. Erst dann würde meine Seele vom Heiligen Geist wiedergeboren werden. Während ich den Rosenkranz in den Händen hielt, die Perlen zählte und innehielt, um über die Mysterien zu sinnieren, war ich mir des süßen Bandes bewusst, das zwischen mir und Gott bestand. Doch um Ihm nahe zu sein, brauchte ich ein beständiges Herz. Ich würde den Rest meines Lebens in Pein und Marter verbringen, wenn ich nicht die liebende Glückseligkeit Jesu in mein Herz ließ. Wenn Jesus zum Diener der Menschen geworden war und allen vergeben hatte, die sich an ihm versündigt hatten, durfte ich mein Leben nicht dem Hass weihen, sondern musste es dem Vergeben widmen, musste anderen helfen und damit dem Beispiel Jesu folgen. Erst dann würde ich es verdient haben, das Mysterium der unbefleckten Empfängnis Mariens zu begreifen. Nur wegen ihrer vollkommenen Reinheit und Güte war sie würdig gewesen, die Mutter des Gottessohnes zu werden. Ich musste mich bei all meinen Handlungen in Güte üben, wollte ich mit der kostbaren Vision belohnt werden, die mich schließlich erlösen würde: Die Jungfrau Maria, bekleidet von der Sonne, auf einem Vollmond stehend, mit einer Krone aus zwölf Sternen auf dem Haupt. Dann würde ich wissen, dass Jesus mir meinen Stolz vergeben hatte, meine Arroganz, die Lieblosigkeit, die in meinem vertrockneten Herzen wohnte.
Die meisten Nächte verbrachte ich damit, allein in meinem Schlafgemach zu knien und bis zum Morgengrauen den Rosenkranz zu beten. Dann peitschte ich mich zehnmal und zog ein härenes Hemd an, um mich einige Stunden schlafen zu legen. Mein Rücken war immer geschwollen und schmerzte, und er schwitzte Blut, als trüge ich Stigmata. Nur mein treuer Diener Juan, der mir beim Baden und Ankleiden half, der das Blut aus meinen Kleidern wusch und sie bügelte, und der Wundbalsam auf mein gemartertes Fleisch auftrug, wusste davon.
Meine Liebe zu Jesu sollte sich an meinen guten Taten erweisen. Mit der Ermutigung Pater Timoteos begann ich, den Armen Almosen zu spenden – die Hungrigen, die an unsere Tür klopften, bekamen zu essen, die Nackten und Schuhlosen, die in den verkommenen Gassen von Madrid lebten und in den kalten Monaten erfroren, erhielten Kleidung. Ich öffnete meine Geldtruhe den Waisenhäusern der Stadt. Den dominikanischen Missionaren, die nach Westindien reisten, um die Heiden zu bekehren, gab ich großzügige Spenden. Durch all das wurde ich mit kurzen Momenten des Friedens gesegnet.
Die Zeit verging. Ich wurde zum Hofrat beim Königlichen Indienrat ernannt, eine im Königreich hohe Position. Diego war für sein Alter zwar klein und litt häufig an der einen oder anderen Kinderkrankheit, doch mit seinem sanften Wesen gab er mir die Wärme und Zuneigung, an der es sonst in meinem Leben mangelte. Familiäre Zusammenkünfte besuchten Mercedes und ich zwar gemeinsam, doch davon abgesehen waren wir wie zwei Fremde, die im selben aus Eis errichteten Haus lebten. Meine frühere Liebe zu ihr war vertrocknet. Ich hatte ihr nicht völlig vergeben, aber ich hasste sie auch nicht mehr. Ich dankte Gott für die wenigen kostbaren Gaben in meinem Leben, für Seinen Segen und Seine Gnade. Ich konnte mich nicht als glücklich bezeichnen, aber es bereitete mir einen gewissen Trost, dass ich mein kummervolles Schicksal allmählich annahm.
Eines Tages lag ein Umschlag aus teurem Papier auf meinem Schreibtisch. Ein Absender war nicht darauf vermerkt. Die Post, die ich sonst bei der Arbeit erhielt, war offizieller Natur. Ich zögerte, ehe ich den Brief öffnete, dann führte die Neugier mich in Versuchung. Ich brach das Siegel auf und zog ein Blatt duftendes rosafarbenes Papier heraus, auf dem stand:
Eure Exzellenz,
mein Name ist Andrea Cervantes, Miguels jüngere Schwester. Es würde mich nicht überraschen, wenn Ihr Euch nicht an mich erinnert. Viele Jahre sind vergangen, seit ich Euch das letzte Mal im Haus meiner Eltern sah. Ich hoffe inbrünstig, dass dieser Brief Euch und die Euren bei guter Gesundheit und voll des Segens Gottes antrifft.
Nach langem Zögern, denn mir ist bewusst, wie viel Ihr zu tun haben müsst, und dass Ihr wichtige Aufgaben zu erfüllen habt, verlieh Gott mir den Mut, Eure Exzellenz auf Knien um eine Audienz zu bitten. Ihr habt sicher gehört, unter welch elenden Bedingungen
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