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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Hinderten raue Winde die Fischer nachts am Auslaufen, fanden sich am felsigen Ufer immer reichliche Mengen Seeigel. Ich schlürfte das glitschige Nichts von süßem orangefarbenem Kaviar, bis mein laut lamentierender Magen Ruhe gab.
    Am Fuß der casbah gelangte man durch eine kleine Pforte auf den Strandabschnitt, an dem die Fischer mit ihren Booten anlegten und ihren Fang ausluden. Rechts und links der Pforte waren die Männer aufgespießt, die Hassan Paschas Zorn erregt hatten mit ihrem Versuch, das Mittelmeer auf Barken und Nussschalen zu überqueren. Dafür banden die verzweifelten Flüchtlinge mit einer Schnur große Kürbisse zusammen und stellten sich in die Mitte ihres Floßes. In den ausgestreckten Armen hielten sie ein Gewand, einen Lumpen oder irgendein größeres Stück Stoff in der Hoffnung, der Wind würde es als Segel nutzen. Wer Glück hatte, ertrank. Die anderen wurden gefoltert und den Weißrückengeiern überlassen, die ihnen bei lebendigem Leib die Augen aushackten. Nach einer Weile war der Gestank von verwesendem Fleisch nur ein weiterer der unschönen Gerüche in der Stadt, ununterscheidbar vom Odeur der Latrinen in der casbah , die abominable, ekelerregende Dünste absonderten. Der Gestank verschwand nur, wenn kräftige Winde von der Sahara herwehten.
    Wenn sich die Fischer der Küste näherten, betrachtete ich einen Moment die dunkle See. Die Pein über meine Gefangenschaft wurde noch größer angesichts der Vorstellung, dass ein derart schönes Gewässer – das Mittelmeer der griechischen Sagenhelden – zwischen meiner Freiheit und mir lag, zwischen meiner Familie in Spanien und dem Verbrechernest, in dem ich festsaß und dem ich eines Tages, das gelobte ich mir, auf die eine oder andere Art entkommen würde, gleichgültig wie.
    Kaum legten die Boote an, rannten Sancho und ich wie hungrige Bestien in ihre Richtung, um die weggeworfenen Fische in der Luft aufzufangen, ehe die angriffslustigen Möwen sich mit ihnen davonmachen konnten. Die Fischer verhöhnten uns und riefen: »Lauft, ihr Christenhunde, lauft, wenn ihr was fressen wollt.« Die Angst vor dem Hunger überwand meine Scham. Der Ausschuss ihres Fangs gewürzt mit ihren Beleidigungen war mir lieber als die reine Seeigel-Kost. Diese kargen Bissen stellten an manchen Tagen unsere einzige Mahlzeit dar.
    Während wir hastig kauten und die spitzen Gräten ausspuckten, sagte Sancho oft: »Schnell, Miguel, esst, bevor sich die Würmer den Wanst vollschlagen.«
    Wenn wir einigermaßen gesättigt waren, suchten wir nach Muscheln und Schalentieren, die für Christen essbar waren. Die verkauften wir später im souk . Sancho verstand sich meisterlich darauf, die begehrten Krabben mit einem Steinwurf zu töten. Er wickelte unsere Ausbeute in Lumpen, die er eigens zu dem Zweck aufbewahrte, und damit brachen wir zum Markt auf.
    Der souk lag im Herzen der casbah . Mich faszinierte dieser fantastische Basar, auf dem die Menschen Waren aus aller Herren Länder bestaunten, feilboten und kauften: Schläuche mit spanischen und italienischen Weinen, Butter, Weizen, Gries, Reis, Mehl, Talg, Kichererbsen, Olivenöl, frischer und getrockneter Salzfisch, Eier in vielen Größen und Farben (elfenbeinfarbene Straußeneier von der Größe eines Menschenkopfs, rosafarbene Wachteleier von der Größe eines Fingernagels), Gemüse, frische und in Sirup eingelegte Feigen, rauchiger afrikanischer Honig, Mandeln, Orangen, Trauben und gezuckerte Datteln. Töpferwaren, Parfüms, Weihrauch aller Art, Wolle, Edelsteine, Stoßzähne von Elefanten, Löwen- und Leopardenfelle lagen ebenfalls aus, dazu Stoffe in prächtigsten Farben, die im heißen Sonnenlicht gleißten.
    War das Glück uns gewogen, verkauften wir unser Meeresgetier und verdienten damit die zwanzig asper , die es kostete, im bagnio auf dem Boden eines mit Männern voll gepferchten Raums zu schlafen, der einzige Schutz vor den kalten, verderblichen Nachtwinden, die mit dem Herbst eintrafen.
    Auf meinen ersten Ausflügen durch das Labyrinth der casbah diente Sancho mir als Vergil. »Schaut, Miguel«, sagte er und deutete auf die Hausdächer. »Ich schwöre, die Menschen hier müssen wahre Katzen sein. Seht Ihr, wie sie ihre Wäsche auf dem Dach aufhängen? Das ist, weil es in den armen Häusern keine Innenhöfe gibt. Seht Ihr, wie die Frauen von Dach zu Dach gehen? So besuchen sie sich untereinander, denn ihre Männer wollen nicht, dass die Türken und Mauren sie zu Gesicht bekommen.«
    Ich lernte, flüchtige

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