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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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dass ich Pater Timoteo nicht gestehen konnte, was ich Miguel und seiner Familie antun wollte. Er würde mich davon abbringen. Er würde nie wieder einen guten Christen in mir sehen. Die Klarheit, mit der ich mich in meinem Hass selbst erkannte, war unerträglich.
    Das Murmeln der betenden Frommen in der Kathedrale schwirrte in meinem Kopf wie ein Schwarm aufgebrachter Bienen. Beteten sie für mich? Der Lärm schwoll an, ich wollte nichts, als zur Kathedrale hinausstürzen und dann immer weiter laufen, um in der hereinbrechenden Nacht zu verschwinden. Die Gebete klangen immer drohender, wie ein Schwarm streitsüchtiger Amseln, die sich in einer Pinie scharen, um sich vor der Winterkälte zu schützen. Zankten die Vögel auf Lateinisch? Ich sah mich um, die flackernden Lichter der Votivkerzen ließen mich an die sengenden Höllenflammen denken. Jetzt konnte mir kein Priester helfen. Kein Mensch, und wäre er Gottes ergebenster Diener, konnte mich von meinem vergifteten Herzen erlösen. Ich würde unseren Himmlischen Vater selbst um Vergebung anflehen und ihm dann zur Buße mein Leben uneingeschränkt weihen. Ich würde Mönch werden, würde meine Familie verlassen und den Rest meines Lebens mit Fasten und Beten verbringen. Besser noch, ich würde ein Eremit werden und in einer abgelegenen Höhle leben, in der nur die wilden Tiere mich finden konnten. Aber ich wusste, dass mein Fleisch zu schwach war, um solche Härten zu ertragen. Ich wusste nicht, was es bedeutete, Hunger zu haben oder zu frieren, auf bloßem Boden zu schlafen oder die Nacht im einsamen Dunkeln zu verbringen. War es Gott, der da zu mir sprach? War das Häresie? Wer war ich, ein solches Wunder zu verdienen? Ich, der ich so weit davon entfernt war, Christus gleich zu sein. »Solange ich diese Erkenntnis für mich behalte, bin ich gerettet. Gott will, dass ich in Madrid bleibe und in dieser Stadt von Sündern und Abtrünnigen sein Werk verrichte. Er fordert mich auf, ein Soldat in seiner Armee des Göttlichen Lichts zu werden.« In dem Moment fand ich Frieden. Gottes Gnade hatte mich berührt, ich kannte Glück.

KAPITEL 5
    DIE ›CASBAH‹
    1575–1580
    Niemand betrat Algier oder verließ die Stadt wieder, ohne an den Tod erinnert zu werden. Bevor es zu spät ist, künftige Geschichtsschreiber ein für alle Mal daran zu hindern, zum Federkiel zu greifen und ihn in die lügnerische Tinte zu tauchen, welche die erbärmlichen Skribenten verwenden, um ihre rachitischen Geschichten auszupolstern, erzähle ich selbst, was in dieser Stadt passierte – zu einer Zeit, als ich noch jung und tollkühn war und der Feigheit abhold –, dieser Stadt, in der Erbarmen ein knappes Gut ist und Grausamkeit in Hülle und Fülle vorhanden, in diesem Fegefeuer des Lebens, dieser Hölle auf Erden, dieser Hafenstadt von Piraten und Sodomiten, die den Namen Algier trägt, und ich schwöre bei meiner unsterblichen Seele, dass die Ereignisse, die ich hier berichte, die reine Wahrheit sind, an der ich nichts beschönige und nichts ausschmücke.
    Die Ersten, die morgens das Bagnio Beylic verließen, waren die Gefangenen, die in den giardini der Reichen arbeiteten. Am Ende des Tages kehrten sie zurück, um sich zählen zu lassen und ihre Nachtruhe dort zu verbringen. Die Unglückseligsten von ihnen mussten stundenlang gehen, bevor sie die Gärten erreichten, wo sie die Obstbäume, die Gemüse- und Blumenbeete versorgten und die Bewässerungskanäle instand hielten. Diese Bedauernswerten lebten in ständiger Angst vor den nomadischen und heidnischen Stämmen aus dem Süden, die die Obstgärten überfielen und alle, die sie dort antrafen, verschleppten und versklavten, seien sie nun Christen, Mauren oder Türken.
    Auslösbare Gefangene wie Sancho und ich blieben von Schwerstarbeit verschont. Allerdings mussten wir uns selbst um Essen kümmern. Ohne Sancho wäre ich verhungert, Nahrung gelangte nur dank seiner Pfiffigkeit in meinen Bauch. Roch Sancho Essbares, dann hatte er Räder unter den Füßen, die Augen eines Falken, die Nase eines Wolfs und die Wildheit eines Berberlöwen. Sobald die Wachposten die Türen des bagnio öffneten, liefen wir durch die verlassene casbah zum Meer. Zu der Stunde trieben sich in den dämmrigen Gassen nur die nächtlichen Verbrecher umher, die sich mit bettelnden Sklaven nicht abgaben. Sancho und ich rannten, um die Ersten zu sein, die an der Küste die zurückkehrenden Fischer empfingen und über den Abfall herfielen, den sie auf den Strand warfen.

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