Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
Vom Netzwerk:
Tür, an der ich vorbeikam, und fragte nach Arbeit. Aber Wasser zu holen, Innenhöfe zu schrubben, Latrinen zu reinigen, Getreidesäcke zu schleppen, Unkraut zu jäten, zu graben, Obst in den giardini zu pflücken und Gemüse zu ernten waren mit nur einem einsatzfähigen Arm nicht zu bewältigende Arbeiten. Ich konnte Weizen im Mörser zwar mahlen, aber nachdem es zu Mehl geworden war, konnte ich die schweren konkaven Reibsteine nicht wegheben. Ich erbot mich, den Kindern wohlhabender Algerier Spanisch beizubringen, doch als die Eltern mich ihren kleinen Teufeln vorstellten, kreischten sie auf, sobald sie meine entstellte Hand sahen. Manchmal gaben barmherzige Menschen mir ein Stück altes Brot oder ein paar Feigen. Sancho hatte mehr Glück, er bekam Arbeit und durfte Lebensmittel und Wasser in die Häuser der Reichen tragen. Ich verzweifelte immer mehr. Selbst ein Dieb brauchte zwei Arme.
    Ohne Sanchos Emsigkeit hätte ich diese ersten Monate in Algier vielleicht nicht überlebt. Zum ersten Mal kannte ich die Angst derer, die Hunger litten. An den seltenen Tagen, an denen ich mir mit dem Verkauf von Fisch ein paar zusätzliche asper verdiente, gönnte ich meinem Magen einen Teller von dem köstlichen, aber billigen Lammtopf mit Couscous, den die Straßenköche zubereiteten. Dieses sättigende Gericht war die Hauptnahrung der Armen in der casbah .
    Da ich in der Baderstube meines Vaters, wenn auch unwillig, als sein Helfer gearbeitet hatte, überlegte ich mir, meine Dienste den hiesigen Badern anzutragen. Mit meiner guten Hand könnte ich Nachttöpfe leeren und auswaschen, ich könnte den Kranken Medizin einflößen und sie füttern. Doch in algerischen Baderstuben ging es ausschließlich um das Schneiden von Haaren, Rasieren und das Beschaffen von Sklavenjungen. Dort arbeiteten die schönen jungen Männer, die nicht mit den türkischen Seeleuten ein Leben auf dem Meer wählten, rasierten die Türken und befriedigten ihre sinnlichen Gelüste. Die schönsten Jungen waren sehr begehrt und erzielten hohe Preise, und die Türken umwarben sie mit prächtigen Geschenken. Es war traurig zu sehen, wie spanische Jungen die Huren von Sodomiten wurden. In einem solchem Etablissement konnte ich nicht arbeiten.
    Ich war mit dem Anblick von Sklaven aufgewachsen – wohlhabende spanische Familien besaßen gemeinhin einige Afrikaner –, aber wer nie selbst ein Sklave gewesen ist, wer nie als etwas Geringeres als ein Mensch behandelt wurde, weiß nicht, was Sklaverei bedeutet. Wir Sklaven waren an den Eisenringen und der Kette an den Knöcheln zu erkennen. Nach einer Weile hatte ich mich derart an die Fesseln gewöhnt, dass ich sie fast vergaß. Die Elenden, die schon sehr lange in Gefangenschaft waren, nahmen allmählich das Aussehen von gefährlichen Bestien an, die aus unterirdischen Höhlen hervorkrochen: Ihr Haar war verfilzt, zottelige Bärte fielen ihnen über die Brust hinab. Viele von uns sahen aus wie Wilde, die sich von rohem Fleisch ernährten. Zwei oder drei Sklaven, die nebeneinander her gingen, rochen wie ein Schlachtfeld verwesender Leichen. Schon bald hatte ich mir angewöhnt, Leuten auf die Frage nach meiner Person mit »christlicher Sklave« zu antworten.
    Außer an religiösen Festtagen fand täglich eine Sklavenversteigerung statt, und zwar in dem Teil des souk , der badestan hieß. Diese Auktionen waren ein Umschlagplatz für Informationen: Wer gefasst und wer verkauft worden war, woher die neuen Schiffsladungen von Sklaven kamen, wer gestorben und wer am Haken hingerichtet worden war. Ich gab mich der vagen Hoffnung hin, dass ich bei einer dieser Veranstaltungen der Menschenfleischhändler etwas über Rodrigo erfahren könnte.
    Den Namen des Mannes, der meinen Bruder gekauft hatte, kannte ich nicht, aber als ich allmählich die wenigen Kleinigkeiten zusammenfügte, an die ich mich von dem Nachmittag erinnerte, als das Schicksal uns so sehr übel mitgespielt hatte, machte sich meine Hartnäckigkeit bezahlt: Von einem Abtrünnigen, der mit ihm Geschäfte machte, erfuhr ich, dass Rodrigos Gebieter Mohamed Ramdane hieß und ein wohlhabender Maure war, der Musik liebte und seinen Kindern eine umfassende Bildung angedeihen ließ, zu der auch gehörte, dass sie europäische Sprachen und die Sitten und Gebräuche anderer Kultur erlernten. Ich fand heraus, dass er mit seiner Familie und den Dienstboten zu seiner Villa am Meer bei Oran gefahren war und jedes Jahr zurückkehrte, um den Winter in Algier zu verbringen.

Weitere Kostenlose Bücher