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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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überleben.« Ich kniete mich auf den steinigen Boden.
    »Jetzt!«, rief Sancho. Ich schreckte auf. »Ich habe die verdammte Kette durchgeschnitten. Ich bin frei.« Er kroch in den vorderen Teil der Höhle und stand auf, schüttelte zuerst das eine, dann das andere Bein und machte ein paar zaghafte Schritte, als habe er es verlernt, sich ohne Fesseln zu bewegen. »Ich gehe, Miguel«, sagte er. »Kommt mit. Eure Kette trennen wir durch, sobald wir in sicherer Entfernung sind.«
    »Ich kann nicht mitgehen, mein Freund«, antwortete ich. »Ich darf unsere Leute nicht im Stich lassen. Ich bin verantwortlich für die Situation, in der wir uns befinden. Ich hätte auf dich hören und nie einem Renegaten vertrauen sollen. Ich muss bleiben und die Folgen tragen. Das verlangt die Ehre von mir.«
    »El Dorador hat uns alle über den Löffel barbiert, nicht nur Euch, Miguel«, widersprach Sancho. »Wer kommt mit?«
    »Wenn du alleine, ohne Führer und ohne Vorräte in die Wüste geht, kommst du um«, sagte ich zu Sancho. »Wenn wir zusammenbleiben, ist die Chance zu überleben größer.«
    Sancho schüttelte den Kopf. »Wie mein verstorbener Gebieter, der ehrenwerte Graf von Ordoñez, zu sagen pflegte: Sumus quod sumus . Ich werde lieber von barbarischen Löwen gefressen, von Skorpionen gestochen, von einer Schlange gebissen oder von Hyänen zerfetzt, lieber verdurste ich oder fülle den Bauch der Wölfe, als dass ich dieses unerträgliche Leben weiterlebe, in dem es nichts gibt als Erschöpfung, Demütigung, Krankheit und eiskalte Nächte. Mir reicht’s. Basta ya! «
    Ich stand auf und umarmte ihn.
    »Unsere Wege werden sich wieder kreuzen, Miguel«, sagte Sancho. »Davon bin ich überzeugt. Und vergesst nicht: Festina Lunte . Ihr wisst, was ich meine, oder?«
    »Ja«, sagte ich.
    Nie sah ich Sanchos stämmige Beine eine so große Geschwindigkeit entwickeln, wie in dem Moment, als er von der Höhle fort den Berg hinaufsprang. Bald verlor sich sein Schatten in der Dunkelheit der nordafrikanischen Nacht. Der pechschwarze Himmel war mit unzähligen Sternen übersät, aber kein Mond stand am Himmel. Bis der neue Tag anbrach, würden sich wilde Tiere an Sanchos Fleisch mit den üppigen Fettreserven gütlich getan haben, davon war ich überzeugt.
    »Erwarten wir die Janitscharen doch vor der Höhle«, sagte ich. »Legt Eure Waffen nieder. Wenn wir Widerstand leisten, töten sie uns gnadenlos hier mitten in der Wildnis. Unsere einzige Chance zu überleben ist, uns ihnen auszuliefern. Möge der Herr sich unserer erbarmen.«
    Als ich nach Algier zurückkehrte, trug ich immer noch Ketten um die Füße, und die Hände waren mir hinter den Rücken gefesselt. Jahre später schrieb ich in Don Quijote über Arnaut Mamí: »Es war seine Natur, am Menschen zum Schlächter zu werden.« Christen zu pfählen, auszudärmen, ihnen Arme und Beine zu verstümmeln, Ohren und Zungen abzuschneiden, die Augen auszustechen, sie zu schänden, zu köpfen, am Eisenhaken hinzurichten oder auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen bereitete ihm dasselbe Vergnügen wie anderen Menschen Essen, Musik oder Beischlaf. Selbst die Türken bestaunten Mamís Grausamkeit ehrfürchtig. Alles konnte ihn reizen: ein Blick, eine Antwort, was er für einen Blick oder eine Antwort hielt, oder das Ausbleiben derselben.
    Am nächsten Morgen wurden wir Mamí vorgeführt. Er empfing uns auf einem Berg Löwenfellen liegend. El Dorador saß zu seinen Füßen. Außerdem war eine große Anzahl Gefangener im Raum. Waren sie als Zuschauer dazu geholt wurden, damit sie verstanden, was mit Gefangenen passierte, die Mamí zu hintergehen versuchten?
    »Wer war der Anführer dieser Verschwörung?«, fragte Mamí.
    Bevor ich etwas sagen konnte, deutete El Dorador auf mich. Ungerührt begegnete der Verräter meinem Blick. Alles in mir verlangte danach, ihn mit meiner guten Hand zu packen und seinen Kopf auf die Fliesen zu schmettern, bis seine Augen, seine Zähne und sein Gehirn zu Mamís Füßen lagen.
    »Ahmed, ab jetzt bist du mein Sohn. Ich adoptiere dich«, sagte Mamí zu El Dorador.
    Der elende Galgenhund sah sehr glücklich aus, mehr als die Portion Schweinefett und Gold- escudos zu erhalten, mit denen Renegaten üblicherweise für das Denunzieren von Christen belohnt wurden.
    Obwohl ich Angst hatte, gehängt zu werden oder meine Ohren und meine Nase zu verlieren, tat ich, was die Ehre gebot, und übernahm die Verantwortung. »Eure Exzellenz«, sagte ich, »ich allein habe diese Männer

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