Die Leidenschaft des Cervantes
identifizieren? In solchen Momenten durfte ich mir meine Angst nicht anmerken lassen. Ich musste alle Bedenken für mich behalten, durfte meine Zweifel niemandem anvertrauen, nicht einmal Sancho. Ich hatte die Verantwortung, ich musste die Ängste der anderen beschwichtigen. Wie sich herausstellte, gehörten die abgeführten Spanier einer Diebesbande an.
Der heilige Monat Ramadan fiel in diesem Jahr in den Januar. Wie El Dorador erklärte, war das die beste Zeit für eine Flucht. Wir begannen mit den Vorbereitungen. Zuerst führte er mich zu einer abgelegenen Höhle in einem steilen Felsabhang nicht weit von Algier. Ich begutachtete sie und zeigte mich zufrieden, sie war groß genug und auch relativ unzugänglich. Dort konnten wir zu siebt auf die Karawane von Tuareg-Nomaden warten, die jedes Jahr Ende Januar auf dem Weg nach Oran, der spanischen Kolonie westlich von Algier, in den römischen Ruinen von Tipasa lagerte. In Oran verkauften sie die Waffen, die sie herstellten, sowie den Zierrat und die Gebrauchsgegenstände aus Messing und Kupfer, in deren Fertigung sie wahre Meister waren. Dieser Tuaregstamm folgte seiner eigenen Variante des Islam und beging viele religiöse Feiertage und Riten nicht. El Dorador wollte uns mit Pferden und Vorräten in der Höhle treffen und bis Tipasa bringen. Dort sollten wir mit den Tuareg einen Preis aushandeln, damit wir uns ihrer Karawane anschließen und in ihrem Schutz reisen durften. Don Fernando willigte ein, auch für den Teil der Reise aufzukommen.
Am ersten Tag des Ramadan weckte das melancholische Dröhnen der Muschelschnecke, die als Horn diente, alle Algerier Stunden vor Sonnenaufgang. Schlaftrunken beeilten sich die Moslems, vor vier Uhr morgens zu essen und zu trinken. Mit Ausnahme der Kranken fasteten sie dann den Rest des Tages. Doch sobald die Sonne unter den Horizont der Sahara sank, ließen sich die Menschen auf ihren Teppichen nieder, um die Delikatessen zu verspeisen, die eigens während dieser Festwochen zubereitet wurden. Nach dem strengen Fasten des Tags schlugen sich die Algerier den Bauch so voll, dass sie sich anschließend ein Verdauungsschläfchen genehmigen mussten. Um zehn Uhr waren sie dann bereit für das nächtliche Treiben auf den Straßen. Auch die Wachposten des bagnio folgten diesem Tagesablauf.
Während des Ramadan war die nächtliche casbah ein Lichtermeer mit den zahllosen Fackeln und den vielen Laternen, die die Menschen bei sich trugen. Überall war Gesang zu hören, begleitet von Gitarren, Flöten und Trommeln. Algerier versammelten sich auf den Plätzen und sahen den Tänzerinnen zu, deren wiegende Bewegungen die Atmosphäre sinnlich aufluden. Das rhythmische Klatschen, das die Tänze begleitete, weckte Erinnerungen an die spanischen Kastagnetten. Es schwoll an, bis es aus jeder Nische der casbah zu hallen schien, um dann zum Himmel emporzusteigen. Die Kobras der Schlangenbeschwörer wanden sich aus ihren Körben und tanzten hypnotisch mit vorschnellender schwarzer Zunge zu den rhapsodischen Flötentönen. Kinderscharen sausten kreischend von einer Lustbarkeit zur nächsten. Selbst die Sklaven wurden von der mitreißenden Stimmung angesteckt.
Im Lauf der Wochen wurde offensichtlich, dass das Fasten nicht spurlos an den Moslems vorüberging. Die spätnächtlichen Gelage beeinträchtigten ihre Verdauung, und der Schlafmangel zeigte sich in ihren lustlosen Mienen und den Schatten unter ihren Augen, während sie benommen durch die Stadt schwankten. Öffneten sie den Mund, stieg ein saurer Geruch aus ihrem Magen auf.
Mitte der vierten Woche der Festivitäten erhielt El Dorador die Nachricht, dass die Tuareg-Karawane gerade eine Tagesreise von Tipasa entfernt war. Die Nomaden waren bekannt für die Geschwindigkeit, mit der sie durch die Wüste zogen. Jeden Vorsprung, den sie einmal vor uns hätten, würden wir nie mehr aufholen. Wir beschlossen, am nächsten Tag zu fliehen, bevor die Karawane weiterzog. Beim ersten Ruf zum Abendgebet würden wir Algier verlassen, dann waren die Stadttore noch geöffnet, aber die Wachen knieten mit gesenktem Kopf auf ihrem Gebetsteppich. Wir zählten darauf, dass sie unser Verschwinden aufgrund ihrer Müdigkeit und ihrer Verstopfung erst am folgenden Morgen bemerken würden.
In der Nacht vor der Flucht konnte ich nicht schlafen. Was, wenn wir scheiterten? War ich bereit, unter der Folter zu sterben, ohne mich als Mensch verwirklicht zu haben? Abgesehen davon, dass ich bei Lepanto gekämpft hatte, hatte
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