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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Morato, ein hochrangiger Maure, war der Kerkermeister von Bagnio Beylic. Eine Mauer seines Wohnsitzes grenzte an unseren Hof. Sie war sehr hoch, und ganz oben waren zwei ovale Fenster eingelassen, deren Läden stets geschlossen waren. Die Fenster lagen viel zu hoch, als dass ein Gefangener auch nur versucht hätte, durch sie zu entkommen; ebenso gut hätten sie versiegelt sein können.
    Durch meinen gescheiterten Fluchtversuch hatte ich mir in Algier den Ruf erworben, ein tapferer, furchtloser Dichter zu sein. Sancho hatte recht gehabt, als er mir am ersten Abend unserer Begegnung sagte, Dichter und Verrückte würden bei den Mauren als Heilige verehrt. Niemand belästigte mich, wenn ich im bagnio alleine bleiben und meine Gedichte schreiben wollte. In der Zeit begann ich auch, Ideen für mögliche Stücke zu notieren. Eines Tages würde man meine Werke aufführen, und noch lange nach meinem Tod würden sie der Welt davon berichten, was unsere Männer in der Gefangenschaft erlitten hatten. Meine Dramen würden die christlichen Nationen dazu aufwiegeln, die Algerier anzugreifen und zu vernichten. Solche Gedanken waren mein einziger Trost.
    Eines Morgens saß ich im Hof, den Rücken an die Mauer von Agi Moratos Wohnhaus gelehnt, und schrieb einen Brief an meine Eltern, da hörte ich ein Geräusch, als würden kleine Steinchen auf den Boden neben mich geworfen. Ich sah mich um, entdeckte aber niemanden. Ich schrieb weiter, da landete ein weiteres Steinchen neben mir. Ich blickte die Mauer hinauf nach oben: Aus einem der sonst stets verschlossenen Fenster ragte eine Rute, von deren Spitze ein dünnes Seil hing. Das Ganze sah aus wie die Spielzeugangel eines kleinen Jungen. Unten am Seil war mit einem weißen Band ein kleines weißes Bündel befestigt. Die Wachen waren auf ihrem üblichen Posten, aber vom Treiben in der casbah abgelenkt. Ich legte mein Schreibzeug zur Seite und inspizierte das Bündel. Es erwies sich als ein weißes Taschentuch, das zu einem Knoten gebunden war. Ich löste den Knoten, sofort wurde das Seil hochgezogen, und die Rute verschwand im Fenster.
    Ich kehrte zu meinem Schreibplatz zurück, setzte mich wieder mit dem Rücken zur Mauer und zog die Knie an, um das Taschentuchbündel im Schutz von Bauch und Beinen zu öffnen. Es enthielt zehn kleine Goldmünzen. War das ein Traum? Spielte mein Kopf mir einen Streich? Ich biss auf eine der Münzen – sie bestand aus massivem Gold. Aus dem Fenster winkte mir kurz eine Frauenhand zu und war wieder verschwunden. Das Fenster wurde geschlossen. Es war, als wären die Läden nie geöffnet worden.
    Was sollte das bedeuten? Sollte ich diesen Platz verlassen und mich ihm nie mehr nähern? Stellte Arnaut Mamí mich auf die Probe? War das ein bösartiger Versuch, mich wieder in einen Hinterhalt zu locken? Meine schmerzenden Knochen, meine geschundene Haut, mein verzagter Geist hatten sich noch nicht von den Monaten in dem klammen Verlies erholt. Wer war diese Frau? Hatte Mamí sie beauftragt, mir eine Falle zu stellen? Aber die kühnen Flüge meiner Fantasie waren müßig. Für den Fall, dass die Frau mich noch beobachtete, verschränkte ich die Arme auf Art der Mauren vor der Brust, um meine Dankbarkeit zu zeigen.
    Ich wickelte die Goldmünzen in das Taschentuch, das aus dem weichsten Stoff bestand und zart mit einem Duft parfümiert war, der an Lotusblüten erinnerte, und verließ das bagnio in aller Eile . Ich wollte so lange gehen, bis die heftigen Gefühle, die in mir tobten, vor Erschöpfung abklangen. Ohne Sancho gab es niemanden, mit dem ich über diese erstaunliche Begebenheit sprechen konnte. Selbst in der üblichen Betriebsamkeit der casbah ging mir die Hand der Frau nicht aus dem Kopf. War sie ein Engel oder ein Teufel? Und warum hatte sie sich ausgerechnet mich ausgesucht? War sie womöglich eine entführte Christin, die gezwungen worden war, ihrem Glauben abzuschwören und Agi Morato zu heiraten? Es war allgemein bekannt, dass sich in seinem Harem viele christliche Frauen befanden.
    Um keinen Verdacht zu erregen, erkundigte ich mich nirgends nach ihr. In Algier hatte ich gelernt, nicht einmal meinen eigenen Gedanken zu vertrauen. Abergläubische Gefangene fürchteten, die Spitzel des Beylerbey würden selbst ihre Träume im Schlaf überwachen.
    Tagelang verließ ich das bagnio nicht in der Hoffnung auf ein weiteres Zeichen aus dem Haus. Aber immer blieb irgendjemand mit mir im Hof zurück, ob ein Gefangener, der krank geworden war, oder ein in

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