Die Leidenschaft des Cervantes
hätten noch mehr geschmerzt, wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie bald ein Ende finden würden. Da ich blutete, musste ich die ganze Zeit mit dem Gesicht zum Boden liegen und den Gestank der blutgetränkten Erde einatmen.
Eines Morgens sagte Abu zu mir: »Mein Herr ist vor ein paar Tagen aus Algier abgereist. Ich habe den Befehl, dich heute freizulassen. Miguel, du bist ein freier Mann. Ich bringe dich zum Bagnio Beylic zurück.« Er reichte mir ein kleines blaues Fläschchen. »Gib diesen Balsam auf deine Haut. Er verhindert, dass Maden in die Wunden eindringen, und sie heilen besser.«
Vorsichtig half er mir aufzustehen. Meine Beine konnten mein dürres Knochengerüst nicht allein tragen. Mit Abus Hilfe machte ich ein paar Schritte. Nie waren mir die Eisenbänder um meine Knöchel schwerer erschienen. Ich fiel auf die Knie. Nach einer Weile belebte die frische Luft meine Sinne. Während ich am Boden kauerte, verließ Abu den Hof und kehrte mit einem Eimer Wasser und einem Stück Seife wieder. Er half mir, meine vermoderten Kleider auszuziehen, und dabei gab ich ihm seine Ausgabe des Lazarillo zurück.
»Ich habe dich oft dort unten lachen gehört«, sagte er. »Ich wusste, wenn du lachen kannst, würdest du überleben.«
Abu goss das Wasser über meinen bloßen Körper, während ich mich einseifte. Vor Schmerzen stöhnte und ächzte ich. Ich versuchte, mir auch den Kopf zu waschen, aber die Haare waren derart verfilzt, dass das Wasser die dicke Matte, die meinen Schädel umhüllte, nicht durchdrang. Als ich mich fertig gewaschen hatte, reichte Abu mir die zwei Kleidungsstücke, die alle Gefangenen bei ihrer Freilassung erhielten.
Auf dem Weg zum Bagnio Beylic war ich so schwach, dass ich mich auf Abus Arm stützen musste. Die Welt um mich herum kam mir völlig unwirklich vor. In dem Moment glaubte ich zu verstehen, was Lazarus empfunden haben musste, als er vom Tod zurückkehrte. Bevor ich durch das Tor des bagnio trat, sagte Abu: »Gib gut auf dich Acht, Miguel. Trotz der Umstände danke ich Allah, dass wir uns wiederbegegnet sind. Aber vergiss nicht, wir dürfen in Algier nicht befreundet sein. Sollten wir uns in der casbah noch einmal sehen, darfst du mich nicht ansprechen. Wenn mein Herr herausfindet, dass wir freundlichen Umgang miteinander haben, verliere ich meine Stelle und werde bestraft. Wer weiß«, fügte er hinzu, »vielleicht sehen wir uns eines Tages an einem anderen Ort wieder, wo Mauren und Christen in Frieden miteinander leben dürfen.« Er drehte sich um und ging so schnell davon, dass ich nichts erwidern konnte.
Wochen vergingen, bis ich genug bei Kräften war, um in die casbah gehen zu können. Wie Sancho mir doch fehlte! Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sehr ich mich auf meinen dicken Freund verlassen hatte. Die Wochen nach meiner Freilassung überlebte ich nur dank der Großzügigkeit meiner Mitinsassen, für die ich zum Symbol unseres Widerstands geworden war. Sie gaben mir alle Essensbissen, die sie erübrigen konnten. Ein Mann schenkte mir einen Stapel Papierbögen und ein Fass Tinte. »Schreibt über dieses Gefängnis«, sagte er. »Sorgt dafür, dass das Leiden unserer Märtyrer nicht umsonst gewesen ist.«
In dem Moment, als mir mein Schicksal trostloser als je zuvor erschien, trat ein menschlicher Engel in mein Leben. Ich möchte ihrer Geschichte eine Strophe von Ibn Hazm von Córdoba voranstellen:
Gewönne ich dein Herz,
Bedeuteten die Welt, das ganze Menschengeschlecht
Mir nicht mehr als Körnchen von Staub
Und als Insekten die Menschen unsres Landes.
Ihr wirklicher Name war Zoraida, und so heißt sie auch in der »Geschichte des Gefangenen« in Don Quijote , wiewohl ich sie in den Stücken, die ich über meine Jahre in Gefangenschaft schrieb, Zahara nannte. Es gibt keinen zweiten Buchstaben, der es an Fülle und Eleganz mit dem letzten des spanischen Alphabets aufnehmen könnte: Er enthält eine 7, ein L und ein auf die Seite gelegtes N. Er ist viel eher ein Portal als nur ein Buchstabe, eine Initiation in ein Geheimnis. Der erste Buchstabe von Zoraidas Namen birgt auch den Schlüssel zu ihr, denn sie war vieles, das in einer einzigen Person Gestalt annahm: vom Blut her Muslimin, in der Seele Christin, die schönste Frau, die meine Augen je gesehen hatten, und die edelste Algerierin. Zoraida trat in meine Geschichte ein zu einem Zeitpunkt, als ich ein Zeichen brauchte, um nicht die Hoffnung zu verlieren, dass ich dereinst nach Spanien zurückkehren würde.
Agi
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