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Die Leidenschaft des Cervantes

Die Leidenschaft des Cervantes

Titel: Die Leidenschaft des Cervantes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaime Manrique
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Arabisch zu unterhalten, doch in Abus Familie sprach man es zu Hause. Er hatte eine Schwester, Leyla, die einige Jahre älter war als wir und die blonde Haare und goldene Augen hatte, wie auch viele Maurinnen in Algerien. Manchmal versammelten sich die Frauen des Haushalts und tanzten füreinander, und dann beobachteten Abu und ich sie heimlich. Leyla bewegte sich mit der Anmut einer Wildkatze. Ihre Augen sahen aus wie in Honig getauchte Mandeln, ihre geschwungenen Augenbrauen und Wimpern waren so schwarz wie das Fell des Panthers. In durchsichtige Schleier gehüllt, mit dem Tamburin rasselnd, versetzte sie mich in die goldenen Wüstendünen Arabiens und in üppige Oasen, die es mit dem Garten Eden hätten aufnehmen können.
    Abus Eltern waren ebenso arm wie meine. Um seine Familie zu unterstützen, arbeitete er nach der Schule im hammam , wo die alten Männer den Jungen ein paar maravedís bezahlten, um von ihnen geschrubbt und massiert zu werden. Ich gewöhnte mir an, ihn ins Badehaus zu begleiten. Die Welt der arabischen Bäder, in denen die Männer ohne Scham ihre Nacktheit zeigten, faszinierte mich. Die Bäder waren Jahrhunderte alt und noch von den Römern errichtet worden. Die seltenen Male, wenn ich in Algier ein paar Münzen hatte erübrigen können, war ich ins dortige hammam gegangen, was mich an diese frühen, glücklichen Tage erinnert hatte. Im Badehaus in Córdoba gab es drei Becken – eines eiskalt, eines warm wie das Wasser des Guadalquivir im August und eines heiß wie kochende Suppe. Mein Lieblingsort in dem Bad war der Dampfraum, in dem Menschen zu verschwinden schienen, um dann hier und dort wie nackte Irrlichter aufzutauchen.
    Aber ich hatte nicht nur schöne Erinnerungen an Córdoba. In Mamís Folterzelle, wo meine Ängste sich vermehrten wie Maden, die sich an einem Kadaver weiden, erlebte ich auch die Schrecken meiner Kindheit wieder. Mein Urgroßvater, Ruy Díaz de Cervantes, hatte sich als Erster aus unserer großen Familie in Córdoba niedergelassen. Über Generationen waren die Cervantes bekannt gewesen als Woll- und Tuchmacher, ein Gewerbe, das eigentlich Juden vorbehalten war. Mein Großvater Juan de Cervantes hatte eine beträchtliche Summe geerbt, die im Lauf der Jahre schrumpfte. Aus seinen runden schwarzen Augen betrachtete er die Welt und die Wesen, die sie bevölkerten, mit Verachtung und Bitterkeit. Meine Mutter pflegte über ihn zu sagen, er habe das Gesicht eines alten Geiers, der sich »sein Leben lang von Giftschlangen ernährt hat.« Schon als Kind empfand ich Mitleid mit meiner Großmutter, weil sie das Bett mit einem Mann teilen musste, dem Hass aus allen Poren quoll. Mein Vater war das bevorzugte Ziel seiner Galligkeit. Sicher, mein Vater war unpraktisch und tollkühn, aber er war auch ein guter Mensch und immer fröhlich. Großvater Cervantes verhehlte selbst in der Öffentlichkeit nicht seine Enttäuschung über seinen Sohn, der als Wundarzt und sogar als Bader versagt hatte. Häufig waren die Schränke in unserer Küche leer. Schinkenknochen wurden wochenlang aufgehoben und immer wieder mit Kohl und Zwiebeln in Salzwasser gekocht, bis sie weiß wie Flusskiesel waren. An vielen Tagen war das unsere einzige Mahlzeit. Oft musste meine Mutter von meiner Großmutter etwas zu essen erbitten und dafür den Hohn meines Großvaters ertragen. Eines Tages kam er abends zur Essenszeit zu uns ins Haus und sagte vor der versammelten Familie zu meinem Vater: »Schau dir doch deine elendiglichen Kinder an. Sie sind ungepflegt wie eine Herde wilder Schweine. Und die Mädchen sehen in den Lumpen aus wie Waschweiber. Die werden nie einen Mann bekommen.«
    Ich wurde körperlich immer schwächer und hatte allen Mut verloren, als Abu eines Tages zu mir sagte: »Miguel, ich habe gute Nachrichten für dich. Von einem Mann, der meinem Herrn nahesteht, habe ich erfahren, dass du bald entlassen wirst. Höchstwahrscheinlich wird Arnaut Mamí dich sehen wollen, bevor du ins bagnio zurückgeschickt wirst, deswegen muss ich die Zahl der Peitschenhiebe erhöhen – es ist für uns beide besser, wenn es aussieht, als hättest du deine Strafe wirklich bekommen. Aber mach dir keine Sorgen, ich schlage leicht zu, damit du nicht daran stirbst.«
    Als die Hiebe an Zahl und Heftigkeit zunahmen, war es unmöglich, die Schreie unterdrücken zu wollen. Ich konnte den unerträglichen Schmerz, der meinem Fleisch zugefügt wurde, nicht ausblenden. Mein Rücken schwoll an, die Haut platzte auf. Die Prügel

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