Die Leidenschaft des Cervantes
Richtung. Agi Morato zog den blutigen Dolch aus dem Körper seiner Tochter und stach sich ihn zweimal mit aller Gewalt in die eigene Brust, nahe des Herzens. Er starrte mich an, den Dolch noch mit beiden Händen umfassend, und flüsterte: »Ich schwöre bei Allah, besäße ich nur noch genügend Kraft, ich würde dir mit eigenen Händen das Herz ausreißen und es den Schakalen in der Wüste zum Fraß vorwerfen. Möge Allah dich mit seinem allmächtigen Zorn und seiner göttlichen Gerechtigkeit strafen.« Dann sank er vornüber, sein Kopf fiel in den plätschernden Bach. Dunklen Algenfäden gleich breitete sich sein Haar auf der Wasseroberfläche aus.
Ich schlang die Arme um Zoraida. Sie lebte noch. Meine Tränen flossen über ihr Gesicht. »Weine nicht um mich, Miguel«, hauchte sie. »Es ist nicht klug, um die zu weinen, die sterben und in den Himmel kommen. Auf diese Art zu sterben, ist nur der Beginn eines neuen und besseren Lebens. In dieser Welt kannte ich mehr Schmerzen, als ich Golddukaten besaß. Jetzt bin ich zum ersten Mal die reichste Frau auf Erden, denn niemand kann den Tod so willkommen heißen wie ich. So glücklich sterbe ich in deinen Armen, Miguel, dass Frau Tod selbst mich beneiden muss.«
»Du Sonne meiner dunkelsten Tage«, sagte ich unter Tränen. »Als ich meine gefesselten Füße über die steinigen Straßen von Algier schleppte, träumte ich von dem Tag, an dem meine fiebrige Stirn durch die Berührung deiner zarten Hände gekühlt würde. In meinem Herzen, das du geöffnet hast, Zoraida, ruht der Frieden, den du allein mir geben kannst.«
»Möge Lela Marien dich schützen und segnen«, sagte sie. »Küss mich … auf den Mund.«
Als ich meine Lippen auf ihre legte, tat Zoraida ihren letzten Atemzug.
Zwei unserer Männer kehrten zurück, um uns zu holen. Als sie sahen, dass Agi Morato tot war und Zoraida leblos in meinen Armen lag, fielen sie auf die Knie und sprachen laut das Vaterunser.
»Es ist Zeit zu gehen«, sagte Don Eduardo Ospina, während er aufstand und sich bekreuzigte. »Wenn wir Spanien erreichen wollen, müssen wir jetzt aufbrechen.«
»Geht ohne mich«, sagte ich. »Wenn ich mit Euch heimkehrte, hätte die Freiheit einen sehr bitteren Geschmack für mich. Freunde, geht ruhigen Herzens. Nutzt den Schutz der Nacht, um so viel Entfernung wie möglich zwischen Euch und Hassan Paschas Schiffe zu bringen. Zögert nicht. Die Freiheit wartet auf Euch. Ich bitte Euch nur, dass einer von Euch meine Eltern aufsucht. Erzählt ihnen nicht von dieser Tragödie, aber sagt ihnen, dass ich bald heimkehren werde.«
Die beiden Männer gaben mir ihr Wort, wir umarmten uns, dann gingen sie. »Ich muss meinen Herrn sobald wie möglich begraben«, sagte Abdul und nahm Agi Moratos Leiche in die Arme. Ich wusste, dass Muslime ohne Verzug beerdigt werden. Er ging dem Bachlauf nach und war bald verschwunden, ich blieb allein mit Zoraida zurück. Ich hob sie auf und ging zum Strand, um einen Ort zu suchen, an dem ich sie begraben konnte. In einem Abhang fand ich schließlich eine kleine Höhle, die zum Meer hin ausgerichtet war. Dort hinein legte ich ihre Leiche, aber erst, als ich keine Tränen mehr zu weinen hatte. Im Tod würde Zoraida nach Spanien blicken, zu dem Leben, nach dem es sie so sehr verlangt hatte.
Um zu verhindern, dass ihre sterbliche Hülle von den Tieren der Wüste entweiht würde, verschloss ich den Eingang der Höhle mit Steinen. Ich arbeitete ohne Unterlass, mit nur der einen Hand. Es dauerte sehr lange. Als ich schließlich fertig war, bluteten meine zerschundenen Finger. Die aufgehende Sonne färbte den Horizont in ein blasses Rosa. Ich schaute in die Richtung, wo Spanien lag: Von dem Schiff, das meine Freunde trug, war nichts zu sehen. Die ruhige See würde sie bis zum nächsten Morgen an spanisches Land bringen.
Der Morgenstern, der am Himmel funkelte, war der einzige Zeuge meines Kummers. Ich überließ es meinen Füßen, mein Schicksal zu entscheiden. Ich hätte nach Süden gehen können, um in der Sahara zu sterben, doch ich schlug die Richtung nach Algier ein, zum bagnio , wo ich zumindest in der Gesellschaft anderer Sklaven sterben könnte. Ich würde mich stellen. Ich hoffte, ich würde getötet werden, denn ohne Zoraida bedeutete mir mein Leben – Gott möge mir verzeihen! – nichts.
Tagelang irrte ich orientierungslos durch die Wildnis, schlief tagsüber und setzte nachts meinen Weg fort. Ich ließ alle Vorsicht außer Acht, damit sich die Wüstentiere an
Weitere Kostenlose Bücher