Die Leidenschaft des Cervantes
Lösegeld, und meine Tage als Gefangener fanden ein Ende.
»Auf Erden gibt es kein Glück, das sich mit dem vergleichen ließe, die verlorene Freiheit wiederzugewinnen«, schrieb ich bei meiner Rückkehr nach Spanien. Doch das Glück, nach dem es mich mehr als fünf Jahre verlangt hatte, war kläglich im Vergleich zu meinem unendlichen Schmerz. In meinem Herzen war vor Kummer kein Platz für den Balsam der Freude.
Durch die Erosion, die die Zeit und das Vergessen bewirken, haben die Farben jener Jahre einen Teil ihrer Nuancen eingebüßt, die Gesichter vieler Hauptfiguren sind zu einem geronnen, ebenso der Ton, in dem sie sprachen, der harte oder weiche Blick ihrer Augen, die Form ihrer Nase oder das Fehlen von Nase und Ohren und manchmal sogar Lippen. Der Schmerz und die Qual jener Jahre haben viel von ihrer Schärfe verloren, die wenigen glücklichen Momente, die ich in Algier erlebte, erscheinen mir im Rückblick glücklicher, als sie es tatsächlich waren, und die Erinnerung an sie, wie auch die an die Vergangenheit, hat nichts mit dem überschäumenden Glücksgefühl gemein, das Zoraida mir in dem Land von Sinnlichkeit und Grauen, von herzlosen Türken, menschenfressenden Berberlöwen und saphirblauer Dämmerung bereitete.
Viele Jahre später, in Spanien, konnte ich kaum glauben, dass dieser Teil meiner Vergangenheit tatsächlich stattgefunden hatte. Viel eher kam er mir vor wie ein abenteuerliches Kapitel in einem Ritterroman, den ein erfindungsreicher Historiker ohne Ansehen der Wahrheit geschrieben hatte. Spätere Gefangene, die das Glück hatten, aus Algier zurückzukehren, berichteten, dass das schändliche Bagnio Beylic, bewohnt von einer ständig wechselnden Schar von Unglückseligen, noch am selben Ort steht, dass Gefangene immer noch dort leiden und viele auch sterben, dass das ovale Fenster, in dem ich Zoraidas Hand das erste Mal sah, immer noch da ist, auch wenn die Läden seit ihrem Tod unweigerlich verschlossen bleiben, dass die Geschichte der tragischen Liebe zwischen der Maurin und dem Christen weiterhin erzählt wird. Mir wurde auch gesagt, dass viele Meilen westlich der Stadt, an der felsigen, hügeligen Küste des azurgrünen Mittelmeers, nach wie vor das Haus ihres Vaters steht und dass Besucher in dem Obstgarten, der heiligen Bühne des letzten Akts unserer Liebe, die Trauerweide sehen können, unter der Zoraidas Vater tötete, was ihm und mir das Kostbarste war.
Was niemand erzählt, ist, dass Agi Morato, als er meiner Geliebten das Leben nahm, mir auch die Hälfte des meinen nahm. Es heißt, dass der Bach, an dem Zoraida starb, jetzt ein Sandbett ist von der Farbe, die Blut annimmt, wenn es in der Wüste getrocknet und zu Stein geworden ist. Was aber in dem Land jenseits des Meeres nicht mehr existiert, sondern nur in meiner verblassenden Erinnerung, sind das Gefühl ihrer warmen, glatten Haut und der Geschmack ihrer roten Lippen, süß wie Johannisbeersaft, voll und zart und ganz anders als alle Lippen, die meine jemals wieder berührten.
ZWEITES BUCH
»Jeder ist, wie der Herrgott ihn geschaffen hat,
ja oftmals schlechter noch.«
Cervantes
KAPITEL 6
EINE ZÜCHTIGE, SANFTE FRAU
Luis
1580–1585
Meine Erfahrung mit Miguel de Cervantes hatte mich gelehrt, dass der Hass auf einen einstigen Freund, der unser Vertrauen hintergangen hat – oder auf eine Frau, die uns betrogen hat –, Liebe überdauert. Hin und wieder stellte ich mir Szenerien der Rache vor, in denen ich jemanden dingte, nach Algier zu reisen und ihm großen Unbill zuzufügen. Diese Gedanken machten mir Angst, aber sie beruhigten mich auch. Während die Jahre vergingen und es den Anschein hatte, dass Miguel seine Tage in Gefangenschaft beenden würde, schwand mein Hass ein wenig. Als die Nachricht von seiner Befreiung aus dem bagnio in Madrid eintraf, war er nur noch eine schemenhafte Gestalt aus meiner Jugend.
Doch die Berichte über den triumphalen Empfang, den die Stadt Valencia Miguel und den anderen Freigekauften bereitete, weckten meinen alten Hass mit einer Heftigkeit, die mich überraschte. Was war das Heldenhafte daran, aus der Gefangenschaft freigekauft zu werden? Mein Zorn schwoll weiter an, als ich erfuhr, dass die großherzigen Valencianos einen Fonds ins Leben riefen, um den ehemaligen Gefangenen, deren Familien über geringe Mittel verfügten, die Rückkehr in ihre Heimatstadt zu ermöglichen.
In den zehn Jahren seit Miguels Flucht aus Madrid hatte ich keinen einzigen seiner Briefe
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