Die Leidenschaft des Cervantes

meinem kümmerlichen Fleisch gütlich täten. Als ich mich schließlich Algier näherte, sah ich in der Ferne, von jenseits der Sahara, eine dunkle Wolke auf die Stadt zu ziehen. Was war das? Auf jeden Fall keine Regenwolke. Ihre Umrisse veränderten sich beständig, und sie gab ein ohrenbetäubendes Dröhnen von sich. Und während der schwarz glänzende Wirbel näher kam, wurde das monotone, wütende Surren immer lauter. Es war nicht das Geräusch von Donner, auch nicht das Heulen, mit dem ein staubiger Schirokko heranbraust, sondern ein Geschwätz in einer Sprache, die der Unterwelt entspringen musste. Ich trieb mich zur Eile an, um im Inneren des bagnio zu sein, ehe die unheilvolle Wolke über die Stadt zog.
    Ich trat durch die Tore des Bagnio Beylic und näherte mich den wachhabenden bashas , um mich zu stellen. Doch sie gaben sich gar nicht damit ab, mich festzunehmen, sondern sorgten sich allein um ihr eigenes Überleben.
    Die Wolke hielt inne, legte sich über die Vorberge und wartete. Tage- und nächtelang blies ein sengender Wind von der Wüste her, aber er trug keinen Sand mit sich. Da wussten wir alle bereits, dass die Wolke aus den gefräßigen Wanderheuschrecken bestand, gegen die der Mensch keine Handhabe kannte. Jeder hatte von den Heuschreckenplagen der Vergangenheit gehört, aber es war so lange her, seit die letzte über Algier hereingebrochen war, dass nur Talal, der verrückte Alte, der Tag und Nacht nackt auf allen Plätzen betete, sich daran erinnern konnte.
    Von den Stufen der heiligsten Moschee donnerte er: »Die Heuschrecken sind wiedergekehrt, sie werden alles Grün auffressen, bis das Land kahl ist und euch nichts als euer eigener Kot bleibt, um euch zu ernähren. Nebel wird eure Gesichter verhüllen, Feuerbälle werden vom Himmel fallen, eure Haut verkohlen und Löcher in eure Knochen und Schädel brennen. Für alle sündigen Städte der Welt kommt einmal die Zeit der Abrechnung, und jetzt ist die eure gekommen. Algerier, Allah wird sich für eure Sünden an euch rächen. Allah hat euch die Heuschrecken geschickt, um euch an seine Rechtschaffenheit zu erinnern und euch für euer schändliches Leben zu bestrafen. Seid gewarnt vor all jenen, die den Zeichen Allahs keinen Glauben schenken. Nur die Rechtgläubigen werden verschont werden. Die Sünder werden wie Reisig sein, das die Feuer der Hölle anfacht. Allahs Strafe wird eine schwere Strafe sein. Übeltäter werden für immer in einem Labyrinth des Feuers gefangen sein. Fleht um Allahs Vergebung, betet zu Mohammed, er möge sich für euch verwenden. Gesegnet sei der Name Allahs, des Allmächtigen, des Rächenden.«
    Die Frommen und die Furchtsamen strömten in die Moscheen. Reiche begannen, die Armen zu speisen. Überall beteten die Algerier gen Mekka und gelobten, ihre Reise zur heiligsten Stätte anzutreten, sobald die Todeswolke sich verzogen hätte. Auf den öffentlichen Plätzen flehten die Menschen Allah um Nachsicht an, versprachen, ihr sündiges Leben aufzugeben, die Fastenzeit einzuhalten, keinen Alkohol mehr zu trinken, kein Schweinefleisch mehr zu essen, keine Sodomie mehr zu betreiben, bei Geschäften nicht mehr zu stehlen und zu betrügen.
    Eines Morgens, nachdem die Moscheen zum Morgengebet gerufen hatten, war am Himmel keine Sonne zu sehen. Ein bebendes Ebenholzzelt überdachte die gesamte Stadt, und dieses Dach zischte wie ein Schwarm Dämonen. Mittags prasselten Heuschrecken wie ein wütender Sturm auf Algier herab, fielen in so dichten Trauben, dass man kaum die ausgestreckte Hand vor sich erkennen konnte. Die Insekten drangen in die Häuser ein, schwärmten in die Trinkbrunnen, versteckten sich in den Kochtöpfen, bahnten sich einen Weg in geschlossene Truhen, verschlossen Menschen die Kehle und ließen sie ersticken. Selbst im Schlafgemach mussten die Menschen schreien, um sich verständlich zu machen. An manchen Stellen versammelten sich derartige Heuschreckenmengen, dass einige vor Mangel an Luft starben. Ich taumelte durch die Stadt mit einem Tuch um Nase, Mund und Ohren gebunden.
    Die Moscheen quollen über vor Bußfertigen, die laut aus dem Koran lasen, bis ihnen die Stimme versagte. Ein Imam predigte: »Allah erbarmt sich seines Volks. Allah verzeiht. Allah ist reine Barmherzigkeit.« Überall wurden die Verse des Koran aufgesagt, auf den Plätzen, in den Moscheen, in den Häusern der Wohlhabenden und den Hütten der Armen. Aber all das Rezitieren half nicht, die Heuschrecken zu besänftigen.
    Ihr Zischen wurde