Die leise Stimme des Todes (German Edition)
komplett verrückt geworden?“, herrschte Klaus Reuben Katherine an. „Du rufst einen der führenden Herzchirurgen an, erzählst ihm irgendetwas von mysteriösen Todesfällen, die mit unserer Klinik in Zusammenhang stehen, und verlangst die Herausgabe von Patientendaten!“
„Ich habe gar nichts verlangt, nur nachgefragt, ob sie ebenfalls Patienten unter merkwürdigen Umständen verloren haben“, versuchte Katherine sich zu verteidigen, aber es war sinnlos. So wütend hatte sie ihren Mentor noch nie erlebt. Reuben saß hinter dem wuchtigen Schreibtisch seines Büros und wirkte, als sei er drauf und dran, über die polierte Tischplatte zu springen und ihr an die Kehle zu gehen. Sein Lächeln, das oft wie festgewachsen in seinem Gesicht wirkte, war verschwunden und seine Augen blitzten zornig.
„Hast du eine Ahnung, wie ich jetzt dastehe?“, tobte Reuben. „Wie ein Idiot! Noch dazu wusste ich von der ganzen Sache nichts, als Kegel mich vor einer halben Stunde angerufen hat. Ich war so perplex, dass ich die ganze Zeit nur gestottert habe.“ Er strich sich theatralisch durch das graue Haar. „Eine meiner Ärztinnen belästigt den Klinikchef des Deutschen Herzzentrum in Berlin und faselt von wilden Theorien, die mit Mord und Verschwörung zu tun haben. Das ist Wahnsinn! Was hast du dir nur dabei gedacht?“
„Ich habe es dir bereits erklärt. Webers und Michelle Sarangers Todesumstände sind so seltsam, dass ich mir Fragen stelle. Fragen, auf die ich Antworten suche.“
„Und da kommt dir der glänzende Gedanke, Kegel anzurufen?“, fragte er verblüfft. „Warum bist du nicht zu mir gekommen?“
„Versteh mich doch“, flehte sie. „Ich wollte mir erst Gewissheit verschaffen, bevor ich alle verrückt mache. Hätte sich herausgestellt, dass ich Hirngespinsten nachjage, hätte ich die Sache auf sich beruhen lassen.“
„Trotzdem, du hättest mit mir darüber sprechen müssen“, erwiderte Reuben. Dann ging eine Veränderung in seinem Gesicht vor. Seine traurigen Hundeaugen nahmen einen harten Glanz an. Seine Miene wurde verschlossen.
„Es ist geschehen und nicht mehr zu ändern, aber als Chef dieser Klinik verlange ich, dass du alle Nachforschungen, die mit dem Tod dieser beiden bedauernswerten Menschen zusammenhängen, einstellst und niemanden mehr anrufst und mit diesem Thema belästigst!“
„Sonst ...?“
„Danach solltest du lieber nicht fragen.“
Katherine verließ wortlos das Büro. Als sie die Tür hinter sich schloss, wusste sie, dass es lange dauern würde, bis sich die Wogen glätteten und sie mit Reuben erneut freundschaftlich umgehen konnte. Gleichzeitig erwachte eine kalte Wut in ihr.
Ich wollte mir nur Gewissheit verschaffen. Nichts weiter. Kegel hätte nicht so ein Drama daraus machen müssen, egal, was er von mir oder meinen verrückten Vermutungen hält.
Katherines Widerstandsgeist war erwacht. Sie beschloss, sich nicht beirren zu lassen und der Sache auf den Grund zu gehen, mochten sich Kegel, Reuben oder sonst wer gegen sie stellen.
Mark Keller hatte Kopfschmerzen, als er am nächsten Morgen aufstand. Sein Hinterkopf fühlte sich an, als habe jemand darauf einen Vorschlaghammer getestet. Da er nicht auf den Arzt gehört und die Verletzung sofort gekühlt hatte, zierte jetzt eine große Beule seinen Schädel, die feurige Schmerzwellen aussandte.
Reumütig nahm er aus dem Gefrierfach des Kühlschranks eine Formschale mit Eiswürfeln, die er in einen Plastikbeutel füllte und sich dann vorsichtig an den Hinterkopf presste. Während er lustlos seinen Kaffee trank und die Zeitung durchblätterte, kam ihm der Gedanke, dass er in letzter Zeit entweder sehr viel Glück oder sehr viel Pech gehabt hatte. Mark sinnierte darüber nach, was er bis jetzt mit seinem Leben angefangen hatte.
Nichts! war die gnadenlose Antwort, die er sich selbst gab. Er hatte sich ziellos treiben lassen, war allen Schwierigkeiten und Mühen aus dem Weg gegangen. Ohne jedes Selbstmitleid zerpflückte er seine zweiunddreißig Jahre, dachte an all die Vorhaben, an denen er gescheitert war oder die er erst gar nicht in Angriff genommen hatte. Die Wahrheit war erbärmlich. Feige und faul war er immer nur darauf bedacht gewesen, es so bequem wie möglich zu haben.
Was ist aus all meinen Träumen geworden?, fragte er sich. Zu welchem Zeitpunkt meines Lebens habe ich aufgehört zu träumen?
Früher war Jazz seine Leidenschaft gewesen, er hatte sich zum Musiker berufen gefühlt, hatte jede freie Minute mit
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