Die leise Stimme des Todes (German Edition)
seinem Saxophon verbracht und die Melodien von Paul Grant Jr., John C. Cohen und anderer Jazzgrößen nachgespielt, bis er alles um sich herum vergaß und eins mit den weichen Klängen wurde.
Ich habe schon so lange nicht mehr gespielt, dachte er wehmütig.
Mit zögernden, vorsichtigen Schritten ging er hinüber zum Kleiderschrank, wo der schwarze Koffer lag, der einmal den Traum seines Lebens enthalten hatte. Er nahm ihn herunter und trug ihn zum Sofa. Als seine Finger über das Leder strichen, wurden all die vergessenen Erinnerungen wieder wach. Mark klappte den Deckel auf. Da lag es - sein Saxophon. Es glänzte golden und funkelte im Tageslicht, so als wollte es ihn rufen, und Mark hob es heraus, presste es an seine Brust wie eine lang verschwundene Geliebte, von der man nicht gehofft hatte, sie jemals wieder zu sehen.
Seine Hand zitterte, als er das Mundstück einsetzte. Mit einem Zipfel seines T-Shirts wischte er es ab, dann setzte er das Instrument an die Lippen. Der erste, zarte Ton schwebte durch den Raum. Ein zweiter folgte, und dann war es, als wären all die Jahre nie verstrichen. Das Zimmer verschwand vor Marks Augen, wurde zu einer Welt der Töne und Melodien.
Vasec Fric, der die Anweisung hatte, seinen Beobachtungsposten unter keinen Umständen zu verlassen, stand in einem Kebab-Laden an der Straßenecke und wartete ungeduldig darauf, dass er endlich an die Reihe kam. Vor ihm drängte sich ein halbes Dutzend Schulkinder, die munter plappernd ihre Bestellung aufgaben, während hinter der Theke ein sichtlich gestresster Türke sich zu merken versuchte, was die Gören essen wollten.
Fric hatte sein Handy dabei. Er war also für Sanden und die anderen erreichbar, dennoch fühlte er sich nicht wohl. Wenn sein Boss herausbekam, dass er nicht in der Wohnung war, würde die Hölle auf Erden über ihn hereinbrechen. Aber dieses nagende Hungergefühl hatte ihn schließlich seine Furcht vor Sanden beiseite schieben lassen.
Alles würde glatt gehen und wenn sich diese kleinen Scheißer endlich entscheiden konnten, wie sie ihren Döner haben wollten, würde niemand etwas merken. Seufzend trat Fric einen Schritt vor.
Mark hatte sich warm gespielt. Seine Finger wanderten geschmeidig über die Druckknöpfe. Er hatte mit einfacheren Stücken wie «For the folks» und «Blue Eyes» Blues Eyes oder Blue Eyes? begonnen, war aber inzwischen zu Paul Grants «Comin’ home» übergegangen.
Als er eine Passage erreichte, in der hohe Töne gefordert waren, drang eine Dissonanz an sein Ohr, die ihn verwundert innehalten ließ. Bis eben hatte das Saxophon perfekt geklungen. Mark setzte das Mundstück an und spielte eine lockere Abfolge von Tonleitern und Griffen - nichts geschah. Alles okay. Das Instrument klang klar und deutlich.
Was soll’s, dachte Mark. Bestimmt habe ich mich getäuscht, leide an den Nachwehen der beiden Unfälle. Er begann «Comin’ home» von vorn, doch als er die gleiche Stelle wie zuvor erreichte, setzte der Fehlton erneut ein. Diesmal erkannte Mark, dass er nicht aus dem Saxophon kam. Es war ein widerlicher Ton, ein leises Pfeifen, das man mehr im Unterbewusstsein wahrnahm.
Mark setzte das Saxophon ab. Das Pfeifen verschwand. Er spielte einen hohen Ton, und da war es wieder. Nach mehreren Versuchen hatte er zumindest eins herausgefunden: Das Geräusch entstand nur in einer bestimmten Tonlage. Irgendetwas in seiner Wohnung reagierte auf hohe Tonlagen.
Was zum Teufel war das?
Mark stand auf. Die Finger fest auf die Knöpfe gepresst, spielte er den ominösen Ton und lauschte.
Das Pfeifen erklang und verschwand unmittelbar in seiner Nähe. Mark blickte sich um. Da war nichts! Alles stand an seinem normalen Platz. Der Fernseher? Er ging hinüber und versuchte es erneut. Nein, der Fernseher war es nicht. Die Stereoanlage und der Videorecorder schieden kurz darauf aus. Schließlich konnte er das Geräusch etwas genauer lokalisieren. Es kam vom Wohnzimmertisch.
Mark stand davor, spielte, lauschte und starrte auf die Holzplatte, auf der lediglich einige Magazine lagen. Er nahm die Zeitschriften und warf sie in die Ecke. Das Pfeifen blieb. Er ging in die Hocke, untersuchte den Teppichboden. Nichts! Als sein Blick am Tisch nach oben wanderte, entdeckte er zu seiner Verblüffung einen kleinen Gegenstand, der an der Unterseite der Tischplatte befestigt war. Mark rutschte näher und betrachtete ihn.
Das Ding war schwarz und glänzte metallisch. Es hatte Form und Größe eines Zweieurostücks,
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