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Die Lennox-Falle - Roman

Die Lennox-Falle - Roman

Titel: Die Lennox-Falle - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ganze Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das hat Jodelle nicht getan. Ein Teil seiner Person war zu rational, auf rationale Weise zu großzügig, um das zuzulassen.«
    »Sind Sie auch Psychologe?« fragte Bressard.
    »Nicht mehr als Sie auch, Henri. In unserem Beruf kommt es doch darauf an, das Verhalten der Menschen zu studieren und es, wenn möglich, vorherzusagen. Stimmt das nicht?«
    »Sie meinen also«, sagte Villier, »daß mein Vater - der leibliche Vater, den ich nie kannte - ganz rational die Schritte kalkulierte,
die zu seinem eigenen Tod führten, weil irgendein Erlebnis ihn dazu bewogen hatte.« Der Schauspieler lehnte sich in seinen Sessel zurück und runzelte die Stirn. »Dann müssen wir herausfinden, was das war, oder nicht?«
    »Ich weiß nicht, wie wir das anstellen sollten, Sir. Er ist tot.«
    »Wenn ein Schauspieler eine Figur analysiert, die er auf der Bühne oder im Film zum Leben erwecken muß, und jene Figur sich außerhalb der Klischeevorstellungen seiner Phantasie befindet, muß er die Realität studieren, sich mit ihr auseinandersetzen, nicht wahr?«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie meinen.«
    »Vor vielen Jahren sollte ich einen mörderischen Beduinenscheich spielen, einen höchst unsympathischen Mann, der brutal seine Feinde tötet, weil er in ihnen Feinde Allahs sieht. In mir beschwor das all die Klischees herauf, die man dabei erwartet: die satanischen Gesichtszüge, den spitzen Kinnbart, die schmalen bösen Lippen, die messianischen Augen - ich fand das alles zu banal. Also flog ich nach Dschiddah, ging dort in die Wüste - unter höchst luxuriösen Umständen, das kann ich Ihnen versichern - und traf mich dort mit einigen Beduinenhäuptlingen. Sie waren nichts dergleichen. Sie waren zwar religiöse Eiferer, aber sie waren ruhig und sehr höflich, und sie waren fest davon überzeugt, daß das, was der Westen die arabischen Verbrechen ihrer Großväter nannte, völlig gerechtfertigt war, weil jene alten Feinde tatsächlich die Feinde ihres Gottes waren. Sie erklärten mir sogar, daß ihre Ahnen jedesmal, wenn sie einen ihrer Feinde getötet hatten, zu Allah beteten, daß er erlöst werden möge. Für sie war das ein notwendiges Abschlachten, das sie mit großer Betrübnis erfüllte. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
    »Das war Le Carnage du Voile «, sagte Bressard. »Du warst großartig und hast den beiden Stars den Film gestohlen. Der führende Kritiker von Paris schrieb damals, das Böse in dir sei deshalb so rein gewesen, weil du es in so stilles Wohlwollen gekleidet hattest -«
    » Bitte , Henri. Genug.«
    »Ich weiß immer noch nicht, worauf Sie hinauswollen, Mr. Villier.«

    »Wenn das, was Sie von Jodelle glauben … wenn das, was Sie glauben, stimmt, dann war er zumindest zum Teil gar nicht so verrückt, wie sein Handeln eigentlich andeuten würde. Ist es nicht das, was Sie eigentlich sagen wollen?«
    »Ja, das ist es. Daran glaube ich. Deshalb habe ich mich so bemüht, ihn zu finden.«
    »Und ein solcher Mann, ganz abgesehen von seinen Schwächen, ist imstande, mit anderen in Verbindung zu treten, mit seinen Schicksalsgenossen, oder nicht?«
    »Wahrscheinlich. Sicher.«
    »Dann müssen wir mit seiner Realität beginnen, der Umgebung, in der er lebte. Das werden wir tun. Ich werde es tun.«
    »Jean-Pierre!« rief Giselle. »Was sagst du da?«
    »Wir haben keine Matinee-Vorstellungen. Nur ein Idiot würde Coriolanus achtmal die Woche spielen. Ich habe tagsüber Zeit.«
    »Und?« fragte Bressard verstört und hob die Brauen hoch.
    »Wie du so liebenswürdigerweise angedeutet hast, Henri, bin ich ein einigermaßen brauchbarer Schauspieler, und habe Zugang zu jedem Kostümverleih in Paris. Die Kleidung wird kein Problem sein, und ein extremes Make-up hat schon immer zu meinen Stärken gehört. Vor seinem Tode waren Monsieur Olivier und ich uns darüber einig gewesen, daß es ein unehrliches Hilfsmittel ist - er nannte es das Chamäleon -, aber dennoch ist damit schon die halbe Schlacht gewonnen. Ich werde in die Welt eindringen, in der Jodelle existierte. Und vielleicht habe ich Glück. Mit irgend jemandem mußte er doch reden. Davon bin ich überzeugt.«
    »Jene Umgebung«, sagte Lennox, »jene Welt Jodelles ist ziemlich gemein und kann recht gefährlich sein, Mr. Villier. Manche dieser Typen würden Ihnen, wenn sie glauben, daß Sie zwanzig Franc in der Tasche haben, dafür beide Beine brechen. Ich trage eine Waffe und war ohne Übertreibung während der

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