Die Lennox-Falle - Roman
»Wieso?«
»Wenn neue Informationen eingehen, werden die Kurzfassungen vom OSI aktualisiert. Vor etwa drei Jahren belästigte Jodelle in betrunkenem Zustand den amerikanischen Botschafter vor dem Lyceum-Theater, wo Sie in einem Stück auftraten -«
» Je m’appelle Aquilon! « fiel ihm Bressard begeistert ins Wort. »Du warst magnifique! «
»Oh, sei still, Henri … bitte fahren Sie fort, Mr. Lennox.«
»Jodelle schrie die ganze Zeit, was für ein großer Schauspieler Sie wären und daß Sie sein Sohn seien, und daß die Amerikaner nicht auf ihn hören wollten. Natürlich zogen ihn die Theaterangestellten weg, während der Türsteher den Botschafter zu seiner Limousine brachte. Er erklärte ihm, der alte betrunkene Clochard
sei geistesgestört, ein besessener Fan, der sich immer vor den Theatern herumtrieb, wo Sie auftraten.«
»Ich habe ihn nie gesehen. Wie kommt das?«
»Das hat der Türsteher ebenfalls erklärt. Jedesmal, wenn Sie an der Bühnentür erschienen, rannte er weg.«
»Das gibt doch keinen Sinn!« sagte Giselle entschieden.
»Ich fürchte doch, meine Liebe«, wandte Jean-Pierre ein und warf seiner Frau dabei einen traurigen Blick zu. »Wenigstens nach dem, was ich heute erfahren habe … Also wurde mein Name wegen jenes seltsamen, aber doch nicht gerade ungewöhnlichen Vorfalls in Ihre - wie nennen Sie das - Ihre nicht unter Verschluß gehaltenen nachrichtendienstlichen Archive aufgenommen?« fuhr der Schauspieler fort.
»Nur routinemäßig. Der ganzen Geschichte wurde keine besondere Bedeutung beigemessen.«
»Aber Sie haben ihr Bedeutung beigemessen, n’est-ce pas? «
»Bitte verstehen Sie mich, Sir«, sagte Lennox und beugte sich in seinem Stuhl nach vorne. »Vor fünf Wochen und vier Tagen sollte mein Bruder mit seinem Verbindungsmann in München Kontakt aufnehmen. Es war eine konkrete Vereinbarung, kein ungefährer Termin, alle logistischen Voraussetzungen waren auf einen Zeitraum von zwölf Stunden eingeengt. Drei Jahre einer riskanten und harten Operation waren abgeschlossen, das Ende in Sicht und die Arrangements für seine sichere Rückführung in die Staaten waren getroffen. Als eine Woche vergangen war, ohne daß wir irgendeine Nachricht von ihm erhalten hatten, flog ich nach Washington zurück und sah mir alle für Harrys Operation wesentlichen Einzelheiten in unseren Unterlagen an - das ist mein Bruder Harry Lennox … und blieb aus irgendeinem Grund, wahrscheinlich nur, weil es so ein seltsamer Hinweis war, an der Episode vor dem Lyceum-Theater hängen. Wie Sie selbst schon angedeutet haben, warum hatte man diese Aussage überhaupt aufgenommen? Berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen werden häufig von Fans belästigt, die von ihnen besessen sind. Wir lesen das ja schließlich häufig in den Boulevardblättern.«
»Ich glaube, das sagte ich schon«, meldete sich Villier zu Wort. »Das ist ein Berufsrisiko, im übrigen meist ein recht harmloses.«
»Das dachte ich auch. Warum hatte man aber den Hinweis in die Akten aufgenommen?«
»Haben Sie eine Antwort darauf gefunden?«
»Eigentlich nicht, aber immerhin genug, um mich dazu zu veranlassen, die Suche nach Jodelle aufzunehmen. Seit ich vor zwei Wochen nach Paris zurückkam, habe ich mich in sämtlichen Seitengassen des Montparnasse und in allen heruntergekommenen Vierteln der Stadt umgesehen.«
»Warum?« wollte Giselle wissen. »Was hat Sie zu dieser Suche veranlaßt? Warum hat man den Namen meines Mannes überhaupt nach Washington weitergeleitet?«
»Dieselbe Frage habe ich mir auch gestellt, Mrs. Villier. Und deshalb habe ich während meines Aufenthalts in Washington den ehemaligen Botschafter - den der vorangegangenen Regierung - aufgesucht und ihn gefragt. Sie müssen wissen, die Information wäre nicht an die Nachrichtendienste weitergegeben worden, wenn er das nicht ausdrücklich genehmigt hätte.«
»Und was hat mein alter Freund, der Botschafter, gesagt?« fragte Bressard in unmißverständlich kritischem Ton.
»Es war seine Frau -«
»Ah«, machte der Mann vom Quai d’Orsay. »Dann sollte man zuhören. Eigentlich hätte sie der ambassadeur sein sollen. Sie war wesentlich intelligenter als er und besser informiert. Sie ist Ärztin, müssen Sie wissen.«
»Ja, ich habe mit ihr gesprochen. Sie ist auch eine große Theaterliebhaberin. Sie besteht immer auf einem Platz in einer der drei vordersten Reihen.«
»Das sind keineswegs die besten Plätze«, sagte der Schauspieler leise. »Man verliert dort die
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