Die Lennox-Falle - Roman
Damit sie andere unter Anklage stellen können, andere verhaften, weil ich mit ihnen gesprochen habe? Ich sage dir, meine Liebe, die Versuchung die Präsidenten von Frankreich und den Vereinigten Staaten und die Königin von England anzurufen, war beinahe unwiderstehlich. Kannst du dir vorstellen, was das für Verwirrung in den Nachrichtendiensten gestiftet hätte?«
»Warum hast du es nicht getan?«
»Weil das Erhabene dann ins Lächerliche umgeschlagen wäre, und uns ist das hier todernst.«
»Warum, Frederik, warum? Was ist aus dem Mann geworden, der die Nazis über alles gehaßt und verabscheut hat?«
»Das stimmt nicht ganz«, sagte der neue Führer knapp. »Zuerst habe ich die Kommunisten verabscheut, weil sie dumm waren. Sie haben überall ihre Macht verspielt, indem sie versuchten nach der marxistischen Doktrin von der Gleichheit zu leben, wo es doch eine solche Gleichheit nicht gibt. Sie haben ungebildeten Bauern und primitiven, häßlichen Flegeln Macht in die Hand gegeben. An ihnen war nichts, das man großartig nennen konnte.«
»So hast du früher nie gesprochen.«
»Selbstverständlich habe ich das! Du hast nur nicht richtig zugehört … aber auch das ist nicht mehr wichtig, weil ich meine Berufung gefunden habe. Ich habe ein Vakuum entdeckt und es ausgefüllt, zugegebenermaßen mit Hilfe eines Chirurgen von großem Weitblick und einer beeindruckenden Persönlichkeit, der erkannt hat, daß ich der Mann war, den sie brauchten.«
»Hans Traupmann«, sagte Karin in der Finsternis und ärgerte sich gleich darauf, daß sie den Namen ausgesprochen hatte.
»Er weilt nicht länger unter uns, das haben wir dir und deinen tölpelhaften Kollegen zu verdanken. Dachtet ihr wirklich, ihr könntet sein Boot kapern und mit ihm entkommen? Alle vier Kameras nacheinander ausgefallen, eine plötzliche Störung im
Funkgerät und das Boot selbst auf einem Kurs rheinaufwärts? Ehrlich, wie kann man so stümperhaft vorgehen! Traupmann hat sein Leben für unsere Sache geopfert. Er hätte es nicht anders gewollt, denn unsere Sache ist alles.«
Günter Jäger wußte vieles, aber alles wußte er nicht, überlegte Karin de Vries. Er glaubte, daß Traupmann auf seinem Boot gestorben war. »Welche Sache, Frederik? Die Sache der Nazis? Dieser Ungeheuer, die deine Großeltern exekutiert und deinen Vater und deine Mutter gezwungen haben, als Ausgestoßene zu leben, bis sie diesem Leben schließlich selbst ein Ende machten?«
»Ich habe vieles gelernt, seit du mich im Stich gelassen hast, meine Liebe.«
»Ich habe dich im Stich gelassen …?«
»Ich habe mir mein Leben durch Diamanten erkauft, alle Diamanten, die mir in Amsterdam geblieben waren. Aber wer hätte mich nach dem Fall der Mauer engagieren sollen? Wer braucht schon einen Spion, wenn es keinen Kalten Krieg mehr gibt? Wie sollte ich weiter meinen Lebensstil aufrechterhalten? Mit unbeschränktem Spesenkonto, teuren Hotels, Limousinen? Erinnerst du dich an das Schwarze Meer und Sewastopol? Mein Gott, wir hatten unsern Spaß, und ich habe zweihunderttausend Dollar für die Operation gestohlen!«
»Ich sprach von der ›Sache‹, Frederik, was ist mit dieser Sache?«
»Ich glaube inzwischen mit Leib und Seele daran. Anfangs haben andere meine Reden geschrieben, jetzt schreibe ich sie alle selbst, ich komponiere sie alle, weil sie wie kurze heroische Opern sind, weil sie all die, die mich hören und sehen, von ihren Stühlen hochreißen. Und dann schreien sie mir mein Lob entgegen, ehren mich, beten mich an, so wie ich sie verzaubere!«
»Wie hat das angefangen … Freddie?«
»Freddie - das klingt schon besser. Möchtest du das wirklich wissen?«
»Habe ich mich nicht immer für deine Einsätze interessiert? Erinnerst du dich daran, wie wir manchmal gelacht haben?«
»Ja, in dem Punkt warst du in Ordnung, da warst du nicht das verhurte Miststück, das du die meiste Zeit warst.«
»Was …?« Karin senkte sofort die Stimme wieder. »Es tut mir leid, Freddie, wirklich leid. Du bist nach Ostberlin gegangen, das ist das letzte, was wir von dir gehört haben. Bis wir dann lasen, daß man dich exekutiert hätte.«
»Den Bericht habe ich selbst geschrieben. Ziemlich sensationell, findest du nicht?«
»Jedenfalls war er sehr detailliert.«
»Gutes Schreiben ist wie gutes Reden, und gutes Reden wie gutes Schreiben. Man muß Bilder schaffen, die diejenigen in ihren Bann ziehen, die lesen oder zuhören. Am besten mit Feuer und Blitz.«
»Ostberlin …?«
»Ja, dort
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