Die Lennox-Falle - Roman
bestätigen?«
»Verdammt, ja, das kann ich. Sogar persönlich. Ich war damals auf unserer Seite der Mauer stationiert und habe mir rings um die
Uhr den Arsch aufgerissen, um den Kontakt zu unseren Leuten auf der anderen Seite zu halten. Freddie de Vries war einer unserer cleversten jungen Spitzenagenten. Das arme Schwein wurde von der Stasi geschnappt - und das nur wenige Tage, bevor die weg vom Fenster waren.«
»Dann könnte sie ganz legitim und ernsthaft an den Vorgängen in Deutschland interessiert sein.«
»Aber sicher. Um noch einmal auf Freddie de Vries zurückzukommen: Er hat mit Ihrem Bruder Harry zusammengearbeitet. Das weiß ich, weil meine G-2-Einheit die beiden koordiniert hat. Harry hat es nicht nur schwer getroffen, als er das von Freddie hörte, sondern er war richtig wütend. Gerade, als ob er sein kleiner Bruder gewesen wäre.«
»Vielen Dank, Stanley. Ich glaube, ich habe gerade einen Fehler gemacht und die Frau beleidigt. Trotzdem gibt es da noch ein paar Lücken, die man füllen muß.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Also ich frage mich, wie Mrs. de Vries von mir erfahren hat?«
In den Schatten der Nachmittagssonne taumelte Jean-Pierre Villier, das Gesicht zur Unkenntlichkeit verändert, die Nase doppelt so groß, die Augen verquollen, in Fetzen und Lumpen gekleidet durch die Seitengasse auf dem Montparnasse. Auf dem Kopfsteinpflaster des Trottoirs saßen an die Wand gelehnt Betrunkene, die meisten eingesunken, andere in eine Art Fötalposition eingerollt. Seine Stimme hatte den Tonfall des Gewohnheitstrinkers, eine Art Singsang, in dem die Worte ineinander verschwammen.
» Écoutez, écoutez - gardez-vous, mes amis! Ich habe von unserem lieben Kameraden Jodelle gehört - interessiert das jemanden, oder vergeude ich bloß meinen Atem?«
»Jodelle ist verrückt!« antwortete eine Stimme zu seiner Linken.
»Der macht uns bloß Ärger!« rief eine Stimme von rechts. »Sag ihm, er soll zum Teufel gehen.«
»Ich muß Freunde von ihm finden, er hat gesagt, es ist wichtig!«
»Dann geh zu den nördlichen Docks an der Seine, dort kann er besser schlafen und mehr klauen.«
Jean-Pierre ging zum Quai des Tuileries hinauf, hielt an jeder dunklen Gasse und stieß in jeder auf praktisch dieselben Ergebnisse - er schien nicht viele Freunde gehabt zu haben.
»Der alte Jodelle ist ein Schwein! Er gibt keinem von seinem Wein ab.«
»Er sagt, er hat einflußreiche Freunde - aber wo sind sie?«
»Dieser große Schauspieler, von dem er immer sagt, daß er sein Sohn sei - solcher Blödsinn! «
»Ich weiß ja, daß ich ein Säufer bin, und das ist mir egal, aber meinen Freunden erzähle ich keine Lügenmärchen.«
Und dann, als Villier schließlich die Landungsstege oberhalb des Pont de l’Alma erreichte, hörte er von einer abgetakelten alten Frau die ersten ermutigenden Worte.
»Natürlich spinnt Jodelle, aber zu mir ist er immer nett. Er bringt mir Blumen - gestohlen, natürlich - und sagt, ich sei eine große Schauspielerin. Können Sie das glauben?«
»Ja, Madame, ich glaube, daß ihm das ernst ist.«
»Dann spinnen Sie genauso wie er.«
»Vielleicht, aber Sie sind eine hübsche Frau.«
»Oje! … Ihre Augen, die sind wie blaue Wolken im Himmel. Sie sind sein Geist!«
»Ist er tot?«
»Wer weiß? Wer sind Sie ?«
Und schließlich Stunden später, als die Sonne hinter dem Trocadéro versank, hörte er in einer noch viel dunkleren Gasse, wie einer rief: »Wer redet da von meinem Freund Jodelle?«
» Ich «, schrie Villier zurück und trat tiefer in die enge Gasse ein. »Bist du sein Freund?« fragte er und kniete neben dem zusammengesunkenen, abgerissenen Bettler nieder. »Ich muß Jodelle finden«, fuhr Jean-Pierre fort, »und ich habe Geld für jeden, der mir helfen kann! Da schau! Fünfzig Francs.«
»Es ist lange her, daß ich das letzte Mal fünfzig Francs gesehen habe.«
»Dann schau sie dir nur gut an. Wo ist Jodelle, wo ist er hingegangen?«
»Oh, er hat gesagt, das ist geheim -«
»Aber dir hat er es gesagt.«
»Oh ja, wir waren wie Brüder -«
»Ich bin sein Sohn. Sag es mir.«
»Das Loiretal, ein schrecklicher Mann im Loiretal, das ist alles, was ich weiß«, flüsterte das Wrack. »Keiner weiß, wer er ist.«
Plötzlich trat eine Gestalt aus dem hellen Licht an der Mündung der Gasse heraus, die sich nur silhouettenhaft abzeichnete. Der Mann war etwa so groß wie Jean-Pierre, sofern dieser aufrecht dastand und nicht gebeugt wie jetzt. »Warum erkundigen Sie
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