Die Lennox-Falle - Roman
seiner Familie. Lange bevor er reich wurde. Er behält es, um Verwandten Arbeit zu geben - hier kommt jetzt einer; erschrecken Sie nicht.«
Ein offensichtlich betrunkener, älterer Kellner näherte sich mit unsicheren Schritten dem Tisch. »Wollen Sie bestellen, es gibt nichts zu essen?« fragte er in einem Atemzug.
»Einen Scotch, bitte«, erwiderte Lennox.
»Heute gibt es keinen Scotch«, sagte der Kellner und rülpste. »Wir haben eine gute Weinauswahl und japanisches Gesöff, das die Whisky nennen.«
»Dann Weißwein. Chablis, wenn Sie welchen haben.«
»Weiß wird er sein.«
»Für mich bitte dasselbe«, sagte Karin de Vries. Als der Kellner davongeschlurft war, fuhr sie fort: »Jetzt sehen Sie, warum das Lokal nicht sehr populär ist.«
»Es sollte eigentlich gar nicht existieren … Aber kommen wir zur Sache. Ihr Mann hat in Ostberlin mit meinem Bruder zusammengearbeitet.«
»Ja. Harry ist ein Mann, den Frederik ebenso wie ich als sehr guten Freund betrachtet hat.«
»So gut haben Sie Harry gekannt?«
»Freddie war für ihn tätig, aber das stand nicht in den Büchern.«
»In diesem Geschäft gibt es keine Bücher.«
»Ich meine damit, daß nicht einmal Harrys Leute, geschweige denn Colonel Witkowski und seine G-2 wußten, daß Harry der Führungsoffizier meines Mannes war. Es durfte auch nicht die leiseste Andeutung geben, daß die beiden zusammenarbeiteten.«
»Aber Witkowski hat mir doch gesagt, daß sie zusammengearbeitet haben.«
»Auf derselben Seite, das schon, aber nicht als Führungsoffizier und Agent. Ich glaube, das hat niemand auch nur geahnt.«
»Es war also so wichtig, daß es geheimgehalten wurde, selbst gegenüber unseren eigenen Spitzenleuten?«
»Ja.«
»Warum?«
»Wegen des ganz speziellen Jobs, den Frederik für Harry getan hat - bereitwillig und begeistert. Wenn man gewisse Vorgänge mit den Amerikanern hätte in Verbindung bringen können, dann hätte das schreckliche Konsequenzen haben können.«
»Keine der beiden Seiten war damals sonderlich sauber, und manchmal ging es auf beiden Seiten ziemlich schlimm zu. In der Beziehung konnte man sich gegenseitig nichts vorwerfen. Warum also das ganze Theater?«
»Ich denke, es war wegen der Menschen, die getötet wurden. Mir hat man es wenigstens so erklärt.«
»Sie meinen, Ihr Mann -«
»Ja«, unterbrach ihn Karin de Vries leise. »Freddie hat Ihrem Bruder gute Dienste geleistet und sich bei der Stasi eingenistet,
und zwar so, daß sie große Feste für ihn veranstalteten, weil sie ihn für einen Diamantenhändler aus Amsterdam hielten, der die Apparatschiks reich machte. Und dann entwickelte sich dabei ein gewisses Schema; mächtige Funktionäre der DDR, die im Dienste des Kreml standen, befanden sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und wurden getötet. Harry und ich haben sowohl jeder für sich als auch gemeinsam Frederik zur Rede gestellt. Er hat natürlich alles abgeleugnet, und sein unschuldiger Charme und seine Redegewandtheit - Eigenschaften, die ihn zu einem außergewöhnlich guten Geheimagenten machten - haben uns beide überzeugt, daß es nur Zufall gewesen war.«
»In diesem Geschäft gibt es keinen Zufall.«
»Das haben wir auch erfahren, als Frederik eine Woche vor dem Fall der Berliner Mauer erwischt wurde. Man hat meinen Mann gefoltert und ihm Wahrheitsdrogen gespritzt, und das führte schließlich dazu, daß er die Morde gestand. Harry gehörte zu den ersten Spezialisten, die das Stasihauptquartier erreichten und dort das Unterste nach oben kehrten, und in seinem Zorn über Freddies Tod wußte er genau, was er suchen mußte und wann es geschehen war. Er fand eine Kopie des Protokolls, die er an sich nahm und später mir brachte.«
»Dann war Ihr Mann also schießwütig, und weder Sie noch mein Bruder haben ihn durchschaut?«
»Sie hätten Freddie kennen müssen. Es gab einen Grund für seine Maßlosigkeit. Er war voll Haß auf die militanten Deutschen, das war ein tiefer Abscheu, der nicht den toleranten, ja bußwilligen Bürgern Westdeutschlands galt. Sie müssen wissen, seine Großeltern wurden von einem Erschießungstrupp der SS auf dem Marktplatz vor der gesamten Dorfbevölkerung exekutiert. Ihr Verbrechen bestand darin, daß sie den verhungernden Juden, die man in einem offenen Stacheldrahtpferch in einem Feld hinter dem Bahnhofsgelände gefangen hielt, Essen gebracht hatten. Aber - und das ist besonders schmerzlich - mit seinem Großvater und seiner Großmutter wurden sieben weitere
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