Die Leopardin
Nachbargrundstück kletterten. Er schloss sich den anderen Verfolgern an, doch der Vorsprung der Flüchtigen war bereits zu groß. Als sie den Zaun überwunden und den Nachbargarten durchquert hatten, kamen sie gerade noch rechtzeitig auf die Straße, um einen schwarzen Renault Monaquatre um die Ecke verschwinden zu sehen.
»Verflucht!«, sagte Franck. Helicopter war ihm zum zweiten Mal an diesem Tag durch die Lappen gegangen.
Nachdem sie zum Haus zurückgekehrt waren, kochte Flick Kakao für die ganze Gruppe. Es entsprach nicht gerade der üblichen Praxis, dass ein Offizier für seine Truppen Kakao kochte, aber in Flicks Augen bewies das nur, wie wenig Ahnung man in der Armee von echten Führungsqualitäten hatte.
Paul stand in der Küche und beobachtete sie, während sie darauf wartete, dass das Wasser im Kessel kochte. Sie empfand seinen Blick wie eine Liebkosung. Sie wusste, was er sagen würde, und sie hatte sich auch schon ihre Antwort darauf zurechtgelegt. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, sich in Paul zu verlieben, doch keinesfalls würde sie ihren Ehemann betrügen, der im besetzten Frankreich im Kampf gegen die Nazis sein Leben aufs Spiel setzte.
Die Frage, die er ihr schließlich stellte, war dann aber doch eine Überraschung für sie. »Was machst du eigentlich, wenn der Krieg vorüber ist?«
»Ich freue mich schon auf die unendliche Langeweile!«, sagte sie.
Er lachte. »Dein Leben war ja auch schon aufregend genug.«
»Du sagst es.« Sie dachte einen Augenblick nach. »Ich will immer noch meine Liebe zur französischen Kultur an junge Leute weitergeben. Ich möchte ihnen die französische Literatur und Malerei näher bringen – und vielleicht auch ein paar banalere Sachen wie die cuisine oder die Mode.«
»Also wirst du Dozentin?«
»Ich mach meinen Doktor, suche mir einen Job an der Uni und höre mir die herablassenden Kommentare engstirniger alter Professoren an, die Frauen in Lehre und Forschung nicht ausstehen können. Vielleicht schreib ich auch einen Reiseführer über Frankreich oder sogar ein Kochbuch.«
»Klingt richtig langweilig nach all dem hier.«
»Ist aber trotzdem wichtig. Je mehr die jungen Leute über Ausländer wissen, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass sie so dumm sind wie wir und sich auf einen Krieg mit ihren Nachbarn einlassen.«
»Damit hast du sicher nicht ganz Unrecht.«
»Und was ist mit dir? Was hast du nach dem Krieg vor?«
»Ach, bei mir ist das ganz einfach. Ich will dich heiraten und in den Flitterwochen mit dir nach Paris fahren. Dann suchen wir uns einen festen Wohnsitz und kriegen Kinder.«
Sie fand das nicht komisch und sah ihn konsterniert an. »Hast du vielleicht auch schon mal daran gedacht, mich zu fragen, ob ich mit diesen Plänen einverstanden bin?«
Er blieb ganz ernst. »Ich denke schon seit Tagen an nichts anderes mehr.«
»Ich habe schon einen Mann.«
»Aber du liebst ihn nicht.« »Was fällt dir ein, so etwas zu sagen? Dazu hast du kein Recht.«
»Ich weiß, aber ich kann einfach nicht anders.«
»Bisher hab ich dich eigentlich für ganz geschickt im Umgang mit Worten gehalten. Wie konnte ich mich so irren?«
»Im Normalfall stimmt’s ja. – Das Wasser kocht.«
Sie nahm den Kessel von der Platte und goss kochendes Wasser über das Kakaopulver, das sie zuvor in einen großen Steingutkrug gegeben hatte. »Stell ein paar Becher auf ein Tablett!«, befahl sie Paul. »Ein bisschen Hausarbeit kuriert dich vielleicht von deinen Träumen von Heim und Herd.«
Er gehorchte. »Dein Kommandoton ändert meine Meinung nicht«, sagte er. »Ich glaube, ich mag das sogar.«
Sie rührte Milch und Zucker in den Kakao und goss ihn in die Becher, die Paul bereitgestellt hatte. »Wenn’s so ist, dann bring das Tablett jetzt sofort ins Wohnzimmer!«
»Wird gemacht, Chefin.«
Als sie ins Zimmer kamen, beherrschten Jelly und Greta die Szene: Sie stritten sich, dass die Fetzen flogen. Die anderen Frauen standen um die beiden herum und sahen zu, hin und her gerissen zwischen Vergnügen und Entsetzen.
»Du hast ihn ja gar nicht benutzt!«, sagte Jelly gerade.
»Ich hatte meine Füße draufgelegt«, gab Greta zurück.
»Aber wir haben nicht genug Stühle!« Jelly hielt einen kleinen ausgestopften Puff in den Händen und presste ihn an sich. Flick nahm an, dass sie ihn Greta einfach weggenommen hatte.
»Bitte, meine Damen!«, mahnte sie.
Die beiden beachteten sie überhaupt nicht. »Du hättest mich bloß drum zu bitten brauchen, Süße«,
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