Die Leopardin
aus.«
»Gut so. Hol deine Pistole.«
Am Empfang gab Regine Flick ein Briefchen, das an sie adressiert war. Flick erkannte Dianas Handschrift, riss das Kuvert auf und las:
Wir suchen uns ein besseres Hotel und treffen euch morgen früh um fünf am Ostbahnhof. Macht euch keine Sorgen!
Sie zeigte Ruby das Briefchen und zerriss es dann in kleine Schnipsel. Sie ärgerte sich über sich selbst: Ich kenne Diana schon seit meiner Geburt, dachte sie. Da darf mich ihr dummes, unverantwortliches Verhalten eigentlich nicht mehr überraschen. Wieso hab ich sie bloß mitgenommen?
Die Antwort war klar: Ihr war keine andere Wahl geblieben.
Sie verließen die Absteige. Die Metro wollte Flick nicht benutzen, da sie wusste, dass die Gestapo an manchen Stationen Kontrollstellen eingerichtet hatte und gelegentlich sogar Razzien in den Zügen durchführte. Das Ritz an der Place Vendome war zu Fuß von der Charbo aus bei einigermaßen flottem Tempo in ungefähr einer halben Stunde zu erreichen. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und es wurde rasch Nacht. Sie durften die Uhrzeit nicht aus den Augen verlieren: Ab elf Uhr abends herrschte Ausgangssperre.
Flick fragte sich, wie viel Zeit sich das Personal im Ritz wohl ließ, bis es wegen Diana und Maude die Gestapo verständigte. Dass mit den beiden etwas nicht stimmte, hatte man bestimmt sofort erkannt. Ihren Ausweispapieren nach waren sie Sekretärinnen aus Reims – was hatten solche Frauen im Ritz zu suchen? Obwohl sie für die Verhältnisse im besetzten Land recht ordentlich gekleidet waren, passten sie nicht zur typischen Ritz-Klientel, zu der Diplomatengattinnen aus neutralen Ländern, Freundinnen von Schwarzmarkt- Profiteuren und die Geliebten deutscher Offiziere gehörten. Der
Hoteldirektor brauchte von sich aus gar nichts zu unternehmen, ja er konnte sogar ein Nazigegner sein. Die Gestapo unterhielt in allen großen Hotels und Restaurants der Stadt Informanten, die dafür bezahlt wurden, das Auftreten von Fremden mit unglaubwürdigen Geschichten zu melden. In der Ausbildung bei der SOE wurden einem solche Dinge geradezu eingehämmert – aber diese Ausbildung dauerte normalerweise drei Monate. Für Diana und Maude hatten nur zwei Tage zur Verfügung gestanden.
Flick beschleunigte ihren Schritt.
Major Dieter Franck war erschöpft. Der Druck und die Verteilung Tausender von Steckbriefen binnen eines halben Tages hatte seinen gesamten Vorrat an Überredungs- und Einschüchterungskünsten beansprucht. Wo es möglich war, hatte er es mit Geduld und Hartnäckigkeit versucht, wenn nötig aber auch mit Tobsuchtsanfällen. Hinzu kam, dass er in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan hatte. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sein Kopf schmerzte, und seine Geduld hing nur noch an einem sehr dünnen Faden.
Doch als er das große Haus an der Porte de la Muette mit Blick auf den Bois de Boulogne betrat, überkam ihn ein Gefühl von Ruhe und Frieden. Die Aufgabe, die er für Rommel übernommen hatte, war mit vielen Reisen kreuz und quer durch Nordfrankreich verbunden, sodass er sich einen Stützpunkt in Paris hatte zulegen müssen. Die Wohnung hatte ihn etliches an Bestechungsgeldern und Drohgebärden gekostet, aber es hatte sich gelohnt. Er liebte die dunkle Mahagonivertäfelung, die schweren Vorhänge, die hohen Zimmerdecken, die Silberbeschläge auf der Kredenz aus dem achtzehnten Jahrhundert. Gelassen schlenderte er durch die kühlen, spärlich erleuchteten Zimmer und genoss das Wiedersehen mit seinen Lieblingsschätzen: von Rodin eine kleine Hand-Skulptur, von Degas die Pastellzeichnung einer Tänzerin, die sich gerade einen Ballettschuh überstreift, eine Erstausgabe von Dumas’ Der Graf von Monte Cristo. Er setzte sich an den Steinway-Flügel und spielte eine lässige Version von Ain’t Misbehavin :
No one to talkwith, all by myself...
Vor dem Krieg hatten die Wohnung und der Großteil des Mobiliars einem Ingenieur aus Lyon gehört, der mit der Herstellung kleinerer Elektrogeräte – Staubsauger, Radios und Türglocken – ein Vermögen verdient hatte. Das hatte Franck von einer Nachbarin erfahren, einer reichen adeligen Witwe, deren Ehemann in den Dreißigerjahren zur Führungsgarde der französischen Faschisten gezählt hatte. Der Ingenieur, behauptete sie, sei ein vulgärer Mensch gewesen. So habe er doch tatsächlich Leute dafür bezahlt, dass sie ihm die richtigen Tapeten und Antiquitäten aussuchten. Schöne Einrichtungsgegenstände hätten für ihn nur
Weitere Kostenlose Bücher