Die Leopardin
SS-Sturmbannführers auf, der an einem Tisch nahebei saß und sie anstarrte. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, dann sah sie rasch weg.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. War er bloß beiläufig auf sie aufmerksam geworden, weil sie sich einen Wortwechsel mit dem Oberkellner geliefert hatte? Überlegte er, wo er sie schon einmal gesehen hatte? Kannte er vielleicht den Steckbrief, hatte aber noch keine unmittelbare Verbindung zu ihr hergestellt? Oder fand er sie einfach nur attraktiv? Eines war klar: Einen Skandal konnte sie sich hier nicht leisten, das war brandgefährlich.
Und die Gefahr wuchs mit jeder Sekunde, die sie hier noch stand. Die Versuchung, auf dem Absatz kehrtzumachen und davonzulaufen, war groß.
Der Oberkellner sprach mit Diana, dann drehte er sich um und winkte Flick.
»Du bleibst besser hier«, raunte sie Ruby zu, ehe sie dem Wink des Kellners folgte. »Eine erregt weniger Aufsehen als zwei.«
Denen ist nicht einmal eine Spur von Schuldbewusstsein anzumerken, dachte Flick verärgert. Maude wirkte selbstzufrieden, Diana hochnäsig. Flick legte die Hände auf die Tischkante und beugte sich vor, um auch mit leiser Stimme verstanden zu werden. »Was ihr hier treibt, ist lebensgefährlich. Steht sofort auf und kommt mit mir mit. Wir zahlen beim Rausgehen.«
Sie hatte sich unmissverständlich ausgedrückt, doch die beiden lebten offenbar in einer Traumwelt. »Sei doch kein Spielverderber, Flick«, gab ihr Diana zur Antwort.
Flick schäumte vor Wut. Muss Diana unbedingt die arrogante Idiotin spielen?, dachte sie und schimpfte: »Du dumme Kuh! Ist dir nicht klar, dass man euch umlegen wird?«
Sie erkannte ihren Fehler sofort. Beschimpfungen waren hier völlig fehl am Platz. Der Trotz verstärkte Dianas anmaßendes Verhalten nur noch. »Es ist mein Leben«, sagte sie. »Wenn ich bereit bin, das Risiko auf mich zu nehmen. «
»Du bringst uns alle in Gefahr und die ganze Mission dazu. Steh sofort auf und komm mit!«
»Sieh mal. « Hinter Flick entstand Unruhe. Diana hielt mitten im Satz inne und sah an ihr vorbei.
Flick drehte sich um und hielt die Luft an.
Im Eingang stand der gut gekleidete deutsche Offizier, den sie am vergangenen Sonntag auf dem Platz in Sainte-Cecile gesehen hatte. Sie erkannte ihn mit einem Blick: eine hoch gewachsene Gestalt im eleganten dunklen Anzug mit weißem Einstecktuch in der Brusttasche.
Ihr Herz raste. Sie kehrte ihm umgehend wieder den Rücken zu und betete zum Himmel, dass er sie nicht gesehen hatte. Dank der dunklen Perücke bestand eine gute Chance, dass er sie nicht sofort wiedererkannt hatte.
Sein Name fiel ihr ein: Franck. Dieter Franck. Sie hatte eine Fotografie von ihm in Percy Thwaites Akten gefunden. Er war ein ehemaliger Kriminalinspektor. Nun fiel ihr auch wieder der Kommentar auf der Rückseite des Fotos ein: Der Mann ist ein Star in Rommels Spionagetruppe. Gilt als Verhörspezialist und unbarmherziger Folterer...
Zum zweiten Mal binnen einer Woche war sie ihm so nahe, dass sie ihn hätte erschießen können.
Flick glaubte nicht an Zufälle. Wenn er hier zur gleichen Zeit wie sie auftauchte, dann gab es einen Grund dafür.
Sie brauchte nicht lange auf die Erklärung zu warten. Als sie wieder hinsah, kam er mit vier Gestapo-Schergen im Schlepptau auf sie zu. Der Oberkellner lief hinter ihnen her. Panik verzerrte sein Gesicht.
Flick wandte das Gesicht ab und ging davon.
Franck steuerte direkt auf Dianas Tisch zu.
Im Saal war es schlagartig still geworden: Gäste hörten mitten im Satz zu sprechen auf; Kellner, die gerade Gemüse vorlegten, hielten abrupt inne; der Sommelier erstarrte mit der Weinkaraffe in der Hand zur Salzsäule.
Flick erreichte die Tür, wo Ruby stand und ihr zuflüsterte: »Er wird sie verhaften.« Ihre Hand fingerte nach der Pistole.
Flicks Blick kreuzte sich erneut mit dem des SS-Sturmbannführers. »Lass sie stecken«, murmelte sie Ruby zu. »Wir können nichts tun. Wir können es vielleicht mit ihm und einer Hand voll Gestapo-Kerlen aufnehmen – aber dann sind wir immer noch umzingelt von deutschen Offizieren. Selbst wenn wir alle fünf umlegen, werden wir von den anderen niedergemacht.«
Franck stellte Diana und Maude Fragen. Flick konnte nichts Genaues verstehen. In Dianas Stimme lag jene hochnäsige Gleichgültigkeit, in die sie sich immer flüchtete, wenn sie sich im Unrecht wusste. Maude schien in Tränen ausbrechen zu wollen.
Franck musste nach ihren Papieren gefragt haben, denn die beiden Frauen
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