Die Leopardin
Sie selbst hatten sich nicht getraut, auch nur ein Glas Wasser zu bestellen. In jenen Tagen hatte Flick jeden Sou, den sie erübrigen konnte, für die billigsten Plätze in der Comédie Française gespart.
Sie wusste, dass sich die Direktion des Hotels seit Beginn der Okkupation bemühte, das Haus wie gewohnt weiterzuführen, obwohl viele Räume auf Dauer von Nazibonzen besetzt waren. Selbst konnte sie an diesem Abend weder mit Handschuhen noch mit Seidenstrümpfen aufwarten, doch sie hatte sich das Gesicht gepudert und ihre Baskenmütze modisch schief aufgesetzt. Sie konnte nur hoffen, dass auch einige der Hotelgäste in diesen Kriegszeiten zu ähnlichen Zugeständnissen gezwungen waren.
Ganze Reihen grauer Wehrmachtfahrzeuge und schwarzer Limousinen parkten vor dem Hotel auf der Place Vendome. An der Fassade flatterten sechs blutrote Hakenkreuzfahnen protzig im Wind. Ein Portier in Zylinder und roten Hosen musterte Flick und Ruby kritisch. »Sie können hier nicht herein«, sagte er.
Flick trug ein hellblaues, ziemlich zerknittertes Kostüm, Ruby ein marineblaues Kleid und darüber einen Herrenregenmantel. Das war keine Kleidung für ein Diner im Ritz. Flick umgab sich mit der hauteur einer Französin, die einen unbotmäßigen Untergebenen zurechtweist. Sie reckte ihre Nase in die Luft und sagte: »Was geht hier vor?«
»Dieser Eingang ist für die höchsten Ränge reserviert, Madame. Nicht einmal ein deutscher Oberst darf hier rein. Gehen Sie um die Ecke in die Rue Cambon und benutzen Sie den Hintereingang.«
»Wie Sie wünschen«, sagte Flick mit gelangweilt klingender Höflichkeit. In Wirklichkeit war sie froh, dass er keinen Anstoß an ihrer Kleidung genommen hatte. Rasch ging sie mit Ruby um die Ecke zum Hintereingang.
Das Foyer strahlte im Lichterglanz, und vor den Bars zu beiden Seiten drängten sich Herren im Abendanzug oder in Uniform. Im Stimmengewirr schnalzten und zischten deutsche Konsonanten; die gedehnten Vokale des Französischen waren kaum zu hören. Flick hatte den Eindruck, eine Hochburg des Feindes zu betreten.
Sie ging zur Rezeption. Der Concierge in seiner mit Messingknöpfen bestückten Jacke blickte hochmütig auf sie herab. Da er sie weder für eine Deutsche noch für eine reiche Französin hielt, fragte er kühl: »Sie wünschen?«
»... zu erfahren, ob Mademoiselle Legrand in ihrem Zimmer ist«, sagte Flick herrisch. Sie rechnete damit, dass Diana den Namen auf ihren falschen Ausweispapieren benutzte, Simone Legrand. »Ich bin mit ihr verabredet.«
Der Concierge wurde verbindlicher. »Wen darf ich melden?«
»Madame Martigny. Ich bin ihre Chefin.«
»Sehr wohl, Madame. Mademoiselle befindet sich mit ihrer Begleitung im hinteren Speisesaal. Am besten wenden Sie sich an den Oberkellner.«
Flick und Ruby durchquerten das Foyer und betraten das Restaurant. Es war von vorbildhafter Eleganz: weiße Tischtücher, Silberbesteck, Kerzen und schwarz gewandete Ober, die beim Servieren der Delikatessen zu schweben schienen. Kein Mensch wäre bei diesem Anblick auf die Idee gekommen, dass halb Paris hungerte. Der Duft von echtem Bohnenkaffee stieg Flick in die Nase.
Sie hatte kaum die Schwelle überschritten, als sie auch schon Diana mit Maude entdeckte. Sie saßen an einem kleinen Tisch am anderen Ende des Saales. Flick sah, wie Diana eine Flasche Wein aus einem schimmernden Kübel neben dem Tisch hob, um Maude und sich selber einzuschenken. Flick hätte sie am liebsten erwürgt.
Sie wollte zu den beiden hingehen, doch der Oberkellner stellte sich ihr in den Weg. Mit einem demonstrativen Blick auf ihr billiges Kostüm sagte er: »Bitte sehr, Madame?«
»Bon soir«, gab sie zurück. »Ich muss die Dame dort hinten sprechen.«
Er rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Er war ein kleiner Mann mit besorgtem Blick, ließ sich aber nicht einschüchtern. »Vielleicht kann ich ihr eine Nachricht von Ihnen überbringen.«
»Ich fürchte, das geht nicht. Es handelt sich um eine persönliche Angelegenheit.«
»Dann werde ich ihr mitteilen, dass Sie hier sind. Ihr Name?«
Flick starrte in Dianas Richtung, doch Diana blickte nicht auf. »Ich bin Madame Martigny«, sagte Flick resignierend. »Bitte sagen Sie ihr, dass ich sie umgehend sprechen muss.«
»Sehr wohl. Wenn Madame bitte hier warten wollen.«
Flick presste frustriert die Zähne aufeinander. Sie war versucht, loszulaufen und den Oberkellner zu überholen. Dann fiel ihr ein junger Mann in der schwarzen Uniform eines
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