Die Leopardin
einen einzigen Zweck erfüllt: Er wollte damit dem Freundeskreis seiner Ehefrau imponieren. Später war er nach Amerika gegangen, wo bekanntlich jeder vulgär sei, sagte die Gräfin und war glücklich, dass die Wohnung fortan einen Mieter hatte, der sie zu schätzen wusste.
Dieter Franck zog Jackett und Hemd aus und wusch sich den Schmutz von Paris von Gesicht und Hals. Dann schlüpfte er in ein sauberes weißes Hemd, schloss die Ärmel mit goldenen Manschettenknöpfen und wählte eine silbergraue Krawatte aus. Ehe er sie sich umband, schaltete er das Radio ein. Die Nachrichten aus Italien waren nicht gut. Der Sprecher sagte, die deutschen Truppen seien in erbitterte Rückzugsgefechte verwickelt. Für Franck war damit klar, dass es nur noch Tage dauern konnte, bis Rom in die Hände des Feindes fiel.
Aber Italien war nicht Frankreich.
Er musste jetzt warten, bis jemand diese Felicity Clairet aufspürte. Dass sie durch Paris kommen würde, ließ sich natürlich nicht mit Gewissheit sagen, doch – abgesehen von Reims – war die Hauptstadt sicher der Ort, an dem sie am ehesten auftauchen würde. Im Augenblick waren ihm allerdings die Hände gebunden, und er sehnte sich nach Stephanie, die er in Reims gelassen hatte. Sie war im
Haus in der Rue du Bois unabkömmlich, weil man nicht ausschließen konnte, dass noch andere feindliche Agenten an ihre Tür klopften und sich unbemerkt ins Netz ziehen ließen. Er hatte den Befehl erteilt, weder Michel Clairet noch Dr. Bouler in seiner Abwesenheit zu foltern: Sie konnten ihm vielleicht noch nützlich sein.
Im Eisschrank lag eine Flasche Dom Perignon. Franck öffnete sie und goss Champagner in eine Kristallflöte. Mit dem Gefühl, dass das Leben schön war, ließ er sich dann an seinem Schreibtisch nieder und widmete sich seiner Post.
Ein Brief von seiner Frau Waltraud war gekommen.
Geliebter Dieter!
Es ist so schade, dass wir an Deinem vierzigsten Geburtstag nicht beieinander sein können.
Franck hatte seinen eigenen Geburtstag vergessen. Er warf einen Blick auf die Schreibtischuhr von Cartier. Es war der dritte Juni – er war heute vierzig Jahre alt geworden. Zur Feier des Tages genehmigte er sich ein zweites Glas Champagner.
Seine Frau hatte zwei weitere Schreiben beigelegt. Seine siebenjährige Tochter Margarete, genannt Mausi, hatte ein Bild von ihm gemalt: In Uniform stand er neben dem Eiffelturm, den er deutlich überragte; so überhöhten Kinder ihre Väter. Sein zehnjähriger Sohn Rudi hatte mit dunkelblauer Tinte und sorgfältig gerundeten Buchstaben einen schon recht erwachsenen Brief geschrieben:
Lieber Vati!
In der Schule komme ich gut voran, obwohl das Klassenzimmer von Herrn Dr. Richter bombardiert worden ist. Glücklicherweise ist es nachts passiert, ah niemand in der Schule war.
Franck schloss schmerzlich bewegt die Augen. Der Gedanke, dass Bomben auf die Stadt fielen, in der seine Kinder lebten, war kaum zu ertragen, und er verfluchte die Mörder von der Royal Air Force, obwohl ihm durchaus klar war, dass auch schon deutsche Bomben auf englische Schulkinder gefallen waren.
Versonnen betrachtete er das Telefon auf seinem Schreibtisch und erwog, zu Hause anzurufen. Es war nicht leicht durchzukommen: Das französische Netz war überlastet, und die Telefonate der Wehrmacht hatten Vorrang. Die Vermittlung eines Privatgesprächs konnte daher Stunden dauern. Dennoch entschloss er sich, es zu versuchen. Er sehnte sich plötzlich nach den Stimmen seiner Kinder; er wollte sie hören und sich vergewissern, dass sie noch am Leben waren.
Er streckte die Hand nach dem Hörer aus, doch bevor er ihn berührte, klingelte der Apparat. Er nahm ab.
»Major Franck.«
»Leutnant Hesse.«
Francks Puls beschleunigte sich. »Sie haben Felicity Clairet gefunden?«
»Nein, aber was anderes, das fast genauso gut ist.«
Vor dem Krieg, als sie noch in Paris studiert hatte, war Flick ein einziges Mal im Ritz gewesen. Sie und eine Freundin hatten sich Seidenstrümpfe angezogen, Make-up aufgelegt, Hüte aufgesetzt und Handschuhe übergestreift und waren durch die Türen gegangen, als täten sie das jeden Tag. Sie waren durch die Arkade mit den zum Hotel gehörigen Läden gebummelt und hatten über die absurden Preise von Halstüchern, Füllfederhaltern und Parfüms gekichert. Dann hatten sie sich ins Foyer gesetzt, so getan, als warteten sie auf jemanden, der zu spät kam, und sich über die Aufmachung der Frauen lustig gemacht, die sich im Ritz zum Nachmittagstee trafen.
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